Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
sich hinter ihrer Deckung bemerkbar zu machen. Heftig winkte sie mit ihren Armen und schrie so laut sie konnte.
»Hier, hier, hier!«
Der Motorradfahrer hörte sie nicht und setzte sein absurdes Handeln fort. Sie warf das Funkgerät zu Boden und versuchte, die Böschung hinaufzuklettern. Die Hitze, die ihr entgegenschlug, war so stark, dass sie ihren Rettungsversuch sofort abbrechen musste. Der Geruch von verbranntem Haar stieg ihr in die Nase. Die Bewegungen der Person in den Flammen wurden immer hastiger. Später erinnerte sie sich daran, dass der Mann nicht einen Laut von sich gegeben hatte. Einzig das bedrohliche Prasseln und Fauchen der Feuersbrunst beherrschte die Szene. Mit einem Mal hielt er bewegungslos inne, als ob er stehend dem Flammenmeer und der sengenden Hitze bis zum Ende trotzen wollte. Schließlich fiel er jäh nach vorne. Lea Thomann wandte sich von dem Schreckensbild ab und übergab sich. In der Ferne hörte sie das Heulen von Signalhörnern der herannahenden Rettungskräfte und ein aufgebrachtes Stimmengewirr vom Gartengrundstück. Das Zischen einer verdampfenden Flüssigkeit. Einmal hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Dann verlor sie das Bewusstsein.
Als sie wieder zu sich kam, blickte sie in das freundliche Gesicht eines Rettungsassistenten.
»Wie geht es Ihnen?« Die tiefe Stimme passte nicht zu dem jugendlichen Aussehen des Mannes.
»Gut. Geht schon wieder.«
Ihr Kopf brummte, und sie schmeckte Reste von Erbrochenem.
Sie setzte sich auf und blickte aus dem Seitenfenster des Rettungswagens, der unweit der Unfallstelle parkte. Die Flammen waren gelöscht. Die verbrannten Fahrzeugwracks wirkten aus der Ferne wie ein geschmackloser Scherenschnitt. Die untergehende Sonne färbte die Szenerie in ein hässliches Rot-Schwarz, das stroboskopartig vom Blaulicht der Einsatzwagen durchstreift wurde. An den verbrannten Fahrzeugen hantierten Dutzende Feuerwehrleute und Polizeibeamte.
»Ich möchte gehen.«
Der Sanitäter hob abwehrend die Hände.
»Nein«, stotterte er. »Das können Sie jetzt noch nicht.«
»Doch. Ich gehe. Es geht mir gut.«
Lea schob ihn sanft zur Seite und öffnete die Schiebetür. Sofort stieg ihr Brandgeruch in die Nase.
»Pfui Teufel!« Sie drehte den Kopf zur Seite und sah nochmals zu dem verunsicherten Mann. »Ich bin in Ordnung. Machen Sie sich keine Sorgen.«
Bevor er antworten konnte, schob sie die Tür zu.
Sie blickte kurz in den Außenspiegel des Rettungswagens, rieb sich die Augen und wischte anschließend eine verbrannte Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Hast schon besser ausgesehen, Frau Thomann«, flüsterte sie beim Betrachten ihres Spiegelbildes. Dann ging sie entschlossen in Richtung Unfallstelle.
Mit jeder Stunde, die verging, wuchs ihre Unruhe. Susanne Jessen hatte unzählige Male versucht, ihren Exmann zu erreichen, nachdem sie gegen zehn noch immer nichts von ihm und ihrer Tochter gehört hatte. Die unpersönliche Ansage, der Teilnehmer sei derzeit nicht erreichbar, machte sie beinahe wahnsinnig. Entweder hatte er das Mobiltelefon abgeschaltet oder sein Akku war leer. Er müsste längst wieder in der Gegend sein. Dreimal war sie bereits an seiner Wohnung im nahegelegenen Salach vorbeigefahren. Hatte sämtliche Kneipen überprüft, in denen er und seine Kegelfreunde regelmäßig verkehrten. Dazwischen rief sie bei den Eltern von Manuelas bester Freundin an, bei der sie häufig die Nacht verbrachte. Auch dort wusste niemand etwas vom Verbleib ihrer Tochter. Am offensichtlichsten erschien ihr immer noch ihr erster Verdacht, Gerd habe Manuela mit zu dem Ausflug genommen. Trotzdem überkam sie eine schreckliche Vermutung. Eine Angst, die sie immer weniger kontrollieren konnte.
Gegen dreiundzwanzig Uhr wusste sie sich nicht mehr anders zu helfen, als die Polizei um Rat zu fragen. Der Beamte am Telefon war nervös und unterbrach sie ständig. An den Funkgesprächen im Hintergrund bekam sie mit, dass ein schwerer Verkehrsunfall passiert sein musste. Sie hinterließ Adresse und Telefonnummer und sagte dem Polizisten, sie würde sich nochmals melden, wenn sie ihren Exmann erreicht hätte.
War Gerd in den Unfall verwickelt? Vielleicht hatte er Manuela zu seiner neuen Freundin gebracht? Oder sie hatte das ganze Wochenende bei ihr verbracht? Auch das war plausibel. Leider wusste sie so gut wie nichts über diese Frau. Nicht einmal den Nachnamen, geschweige denn ihre Adresse.
Claudia sei nett, erzählte ihre Tochter gelegentlich. Angeblich war sie zehn Jahre
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