Hochsommermord: Kriminalroman (German Edition)
ihres Exmannes. Irgendwann musste er nach Hause kommen. Jedes Mal, wenn ein Fahrzeug vor ihr in die Straße einbog oder im Rückspiegel ein Scheinwerferpaar auftauchte, zuckte sie zusammen und stellte sich auf das Zusammentreffen ein. Mit der Zeit nahm die Anzahl der Pkws ab. Einmal fuhr ein Streifenwagen der Polizei vorbei und hielt in einiger Entfernung an. Zuerst dachte sie, das Auftauchen der Polizei hätte etwas mit ihrem Anruf zu tun. Oder damit, dass ihrem Exmann und Manuela etwas zugestoßen war. Nachdem der Streifenwagen kurze Zeit später weiterfuhr, verwarf sie den Gedanken. Immer wieder nahm sie ihr Mobiltelefon in die Hand und war im Begriff, erneut die Polizei anzurufen. Und jedes Mal legte sie das Gerät wieder auf den Beifahrersitz. Sie schämte sich. Selbst nach der Scheidung hatte es immer wieder Vorfälle gegeben, zu denen der örtliche Streifendienst gerufen worden war. Meistens riefen die Nachbarn an, wenn Gerd in der Wohnung randalierte. Beim letzten Vorfall vor etwa drei Monaten, war ihr keine andere Wahl geblieben, als sich selbst bei der Polizei zu melden. Er hatte sie verprügelt und im Schlafzimmer eingeschlossen. Anschließend zertrümmerte er die halbe Einrichtung und verließ die Wohnung mit den Worten, es wäre ihm recht, wenn sie endlich verrecken würde. Zum Glück lag ihr altes Prepaid-Handy in der Nachttischschublade. Das Guthaben war seit Langem aufgebraucht, sodass ihr nur die Möglichkeit blieb, die Nummer der Polizei zu wählen.
Jetzt war es fünf Uhr am Morgen. In drei Stunden würde die Schule beginnen. Langsam drängte die Morgendämmerung die Dunkelheit zur Seite wie eine Theaterkulisse.
Gegen fünf Uhr fünfundvierzig bog der rote Mondeo in die Hofeinfahrt. Später erinnerte sie sich daran, dass sie zu dem Fahrzeug gerannt war und die rechte hintere Tür aufgerissen hatte.
Dort, wo Manuela immer saß.
Aber ihr Platz war leer.
Von da an hatte sie das Gefühl, in ein dunkles Loch zu stürzen, in dem es keinen Boden gab.
Die Tachonadel stand senkrecht auf der hellblau leuchtenden Geschwindigkeitsanzeige des Streifenwagens.
»Fahr langsamer!« Die Stimme ihres Vorgesetzten klang ernst. »Auf eine Minute früher oder später kommt es jetzt nicht mehr an.«
Lea Thomann ignorierte diese Bemerkung und drückte das Gaspedal voll durch. Von dem Augenblick an, als sie von dem Anruf erfahren hatte, regte sich ein ungutes Gefühl in ihr. Sie konnte ihre Bedenken nicht erklären. Trotzdem bestand sie darauf, den Sachverhalt vor Ort zu klären. Ihre Kollegen zeigten kein Verständnis und versuchten, ihr die Fahrt nach Süßen auszureden. Auf ihre Argumente war sie nicht eingegangen. Sie erinnerte sich an den Einsatz Ende April, bei dem sie die verzweifelte Frau aus ihrem Schlafzimmer befreien mussten. An ihre Scham, während sie den Polizeibeamten und dem Schlosser, der die Tür geöffnet hatte, erklären musste, wie es zu dem Vorfall gekommen war, und die ihr selbst so nahe gegangen war. Sie hatte bemerkt, wie sehr die Frau um das Wohl ihrer Tochter bemüht war. Und sie erinnerte sich an den Mann, den sie auf der Dienststelle vernommen hatte. Er stank widerlich nach Alkohol und Zigaretten, zeigte sich völlig uneinsichtig und vertrat beharrlich die Meinung, dass seine Exfrau nichts anderes verdient habe. Als sie ihn mit dem Tatvorwurf der Körperverletzung und Freiheitsberaubung konfrontierte, lachte er sie aus und meinte, seine Exfrau würde bestimmt keine Anzeige erstatten. Tatsächlich verzichtete Susanne Jessen, auch nach mehrmaligem Drängen, auf eine Strafanzeige.
Sonst wird alles noch schlimmer!
Es wird schlimmer werden, wenn sie nichts unternehmen, hatte sie der Frau eindringlich zu erklären versucht.
Ich kann nicht!
Als sie Gerd Jessen aus der Zelle holten, verhöhnte er sie und machte anzügliche Bemerkungen. Seine Worte klangen ihr noch im Ohr.
»Ich hab’s Ihnen gleich gesagt. Sie hätten sich eine Menge Arbeit sparen können. Sie hat’s verdient, glauben Sie mir.«
»Halten Sie den Mund und verschwinden Sie!« Es fehlte nicht viel, und sie hätte ihm ins Gesicht geschlagen.
»Böse, böse Polizistin. Mir hat’s Spaß gemacht. Sie dürfen mich jederzeit wieder verhaften. Wie wär’s beim nächsten Mal mit ein paar Fesselspielchen?«
Zum Glück hatte damals einer ihrer Kollegen sie festgehalten.
All das ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie hatte ihren Kollegen damit gedroht, sich alleine um die Angelegenheit zu kümmern. Schließlich hatte sich ihr
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