Höhenrausch (German Edition)
ich finde, als emanzipierte Frau sollte man offen zu seiner Intelligenz und seinem Humor stehen.
Auf der Wunschliste der Eigenschaften meines Dating-Partners hatte ich «humorvoll» mit Bedacht nicht angekreuzt. Es gibt nichts Schlimmeres als einen Mann, der von sich glaubt, er sei lustig. Der sagt dann beim vierten Gin Tonic Sachen wie «Nich lang schnacken, Kopf in Nacken» oder «Nur die Harten kommen in den Garten» und wundert sich ernsthaft, warum ihm noch keiner eine eigene Comedy-Show angeboten hat.
Ich war sehr nervös vor meinem ersten Blind Date. Und ich fragte mich, wovor ich eigentlich mehr Angst hatte: dass er meinen Ansprüchen nicht gerecht werden würde oder ich seinen.
Ich betrat die Berliner Schaubühne mit Herzklopfen und einem kastanienbraunen Schimmer im Haar.
Genau genommen war ich in meinem Leben nur viermal im Theater gewesen, wobei ich zweimal die Pause genutzt hatte, um vorzeitig zu gehen. Aber Ibsens «Die Frau vom Meer» hatte ich mit Bedacht ausgewählt. Ich wollte dem Schicksal ein wenig auf die Sprünge helfen, denn meine Wahrsagerin hatte gesagt: «Halten Sie Ausschau nach einem Mann vom Meer. Ich kann in Ihren Karten ganz eindeutig sehen, dass das Meer in Ihrem Liebesschicksal eine entscheidende Rolle spielen wird.»
Das war vor vier Jahren. Ich lebte in meiner Heimatstadt Jülich und war gerade frisch verliebt. Dieser Mann – ich werde seinen Namen nie mehr aussprechen, das habe ich mir am Ortsschild Berlin geschworen – kam zwar nicht vom Meer, hatte aber immerhin ein Aquarium.
Meine Nachfrage bei der Wahrsagerin, ob der Ausdruck «Mann vom Meer» etwas großzügiger ausgelegt werden könne, quittierte sie mit tiefem Seufzen und dem erneuten Hinweis, dass sie es selten mit einem so unspirituellen Menschen wie mir zu tun gehabt habe. Dass ich drauf und dran war, in mein Verderben zu rennen, hat die blöde Kuh natürlich nicht vorausgesehen.
Ich sah ihn sofort. Er stand wie vereinbart an der Bar der Schaubühne und hielt eine weiße Nelke in der Hand. Das hatte ich als Erkennungszeichen schon mal komplett bescheuert gefunden – aber ich wollte die Beziehung nicht gleich zu Anfang durch Mäkeleien gefährden. Dazu hätte ich in den nächsten Jahren ja noch genügend Gelegenheit.
Ich hatte von «Lucky Number» lediglich die Telefonnummer und das Pseudonym der Person bekommen, die laut Computerabgleich am besten zu mir passte. Verabredet hatte ich mich mit «Lustmolch» per SMS, wobei mir, das muss ich sagen, bei dem Pseudonym schon ein klitzekleines bisschen mulmig zumute war. Ich hoffte aber einfach, dass er «Lustmolch» in selbstironischer Absicht gewählt hatte. Ich jedenfalls hatte mein Pseudonym «Paprika» unter diesem Aspekt ausgesucht. Außerdem war ich ja betrunken gewesen.
Allerdings habe ich mit der Hoffnung, etwas sei bloß ironisch gemeint, schon manches Mal voll danebengelegen. Besonders Männer meinen das, was sie sagen, relativ oft ernst. Und wenn man sich dann darüber kaputtlacht und sagt, wie toll man das findet, dass einer über sich selbst Witze macht, dann verstehen sie die Welt nicht mehr und fragen verdattert: «Was denn für Witze?»
Erwähnt sei hier mein Exfreund, dessen Namen ich nicht nennen darf. Meine Freundin Silke nennt ihn der Einfachheit halber «Draco». Da wir ständig über ihn sprechen, ist das zeitsparender, als immer «du weißt schon wer» zu sagen oder «dein bescheuerter Exfreund» oder «der, dessen Name nicht genannt werden darf».
Belesene Menschen wissen natürlich, dass «der, dessen Name nicht genannt werden darf» ein Standardbegriff der zeitgenössischen Literatur ist. Bei «Harry Potter» steht er für den fiesen Magier Lord Voldemort, den alle außer Harry so fürchten, dass sie nicht wagen, seinen Namen auszusprechen.
Silke befand, das sei zu viel der Ehre für meinen bescheuerten Exfreund, und taufte ihn Draco – nach dem ekeligen Mitschüler Draco Malfoy, Harrys ständigem, aber erfolglosem Widersacher.
Draco jedenfalls war immer nur aus Versehen komisch. Bloß hatte ich das zu spät gemerkt. Als zum Beispiel bei unserem ersten gemeinsamen Urlaub – am Meer selbstverständlich, ich wollte es dem Schicksal leicht machen – die Sonne genau so am Horizont versank, wie sie das soll, wenn zwei Verliebte ihr dabei zuschauen, sagte er in die ergreifende Stille hinein: «Mit Sonnenuntergängen ist es ja so: Kennst du einen, kennst du alle.»
«ANDERE LEUTE HABEN APPETIT. ICH HABE HUNGER!»
Lustmolch starrte
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