Höhenrausch (German Edition)
nur halb beruhigende Satz: «Ansonsten machen wir eben ein Fondue-Essen. Ist doch auch nett.»
Aber so richtig nett ist es eben nicht, wenn fünf Übriggebliebene ihre Fleischspieße in Fett tauchen und sich fragen, ob einem mittelmäßigen Silvester automatisch ein mittelmäßiges Jahr folgen wird.
Dieser verdammte Stress des Gelingenmüssens! Wie bei Abschlussball, Hochzeit, Zeugung und Entbindung. Wehe, das sind nicht alles ergreifende Erlebnisse, bei denen die Witterung und die Konfektionsgröße stimmen. Ich könnte wetten, dass man heutzutage selbst im Himmel gepiesackt wird, wenn die eigene Todesstunde nicht den allgemeinen Maßstäben für ein denkwürdiges Ereignis entspricht.
Man sollte sich seine letzten Worte und seine Sterbegarderobe besser frühzeitig zurechtlegen. Sonst trägst du womöglich ein geblümtes Nachthemd mit Löchern drin, sagst «Hmpf» – und deine armen Verwandten müssen sich auf eine präsentablere Version einigen, die sie beim Beerdigungskaffee erzählen können.
Noch fünfzehn Minuten.
Ich schaue von meinem Schwindel erregenden Fensterplatz im «Week End» auf die Stadt runter. Spilz versorgt mich regelmäßig mit Bier, und die Musik ist so laut, dass ich den Eindruck habe, der nächste Bass könnte mich aus dem zwölften Stock schubsen.
Habe ich die richtige Entscheidung getroffen?
Noch zehn Minuten.
Ja, sie ist so was von verdammt richtig.
Ich spüre, dass ich hier am falschen Platz bin. Ob ich es noch schaffe?
Noch acht Minuten.
Der Fahrstuhl hat ein derartiges Tempo drauf, dass ich hoffe, meine Innereien kommen mit dem nächsten nach. Unten lasse ich mir an der Garderobe meinen Mantel und meine Plastiktüte geben. Ich sprinte über den Alexanderplatz, dann die Torstraße hoch. Der Wind ist eiskalt. Meine Augen tränen. Die ersten übereiligen Raketen steigen in den Himmel. Noch nicht! Wartet!
Noch drei Minuten.
Man kann wirklich nicht sagen, dass ich auf meinen hohen Schuhen besonders zügig vorankomme. Immerhin hören jetzt meine Zehen auf zu schmerzen. Ich denke mal, sie sind verstorben.
Noch zwei Minuten.
Geschafft! Ich bin da. Die Tür steht offen. Ich bin völlig außer Atem.
Noch eine Minute.
Beeil dich!
Noch zehn Sekunden.
Augen schließen. Und diesen wunderbaren, unvergesslichen, vertrauten Geruch tief einatmen!
Drei.
Zwei.
Eins.
Reinbeißen in den besten Döner der Stadt!
Ich wünsche mir ein frohes neues Jahr.
Mir und meinem halben Mann.
Dies ist definitiv eines der besten Silvester meines Lebens. Okay, ich habe keinen Geliebten mehr, und mein Exfreund wird mein Exfreund bleiben. Nach ihrer Begegnung im Flur hatten beide Männer darauf bestanden, dass ich eine schnelle Entscheidung treffe.
Und das hatte ich getan.
Gegen beide.
Sehr emanzipiert.
Könnte zum Vorbild werden für Millionen Schwestern, die nach mir kommen.
Silke wird es mir erst nicht glauben und dann vorschlagen, die Frauenbewegung solle mir an prominenter Stelle ein Denkmal setzen. Oder bei Ikea irgendwas nach mir benennen. Eine Heizdecke zum Beispiel.
Eine Stimme in meinem Rücken.
«Frohes neues Jahr!»
Und ich dachte, ich sei der einzige Gast im «Grill- und Schlemmerbuffet».
Ich habe den Mund voll, sehr voll, und kann unmöglich antworten.
«Darf ich mich zu dir stellen?»
Ich nicke. Und fürchte, mir trieft gerade etwas Tzatzikisauce aus dem rechten Mundwinkel.
«Kennen wir uns?»
Ich finde es eine ansehnliche Leistung von mir, dass ich bei diesem Satz den Typen vor mir nicht mit einem Nieselregen aus Döner-Klümpchen besprühe.
«Ich denke schon. Ich habe dir etwas mitgebracht.»
Er stellt eine Tube Sonnencreme auf den Tisch. Schutzfaktor dreißig.
«Andreas?»
«Ich habe mir gedacht, dass ich dich hier finde. Wie steht es um dein Liebesleben? Hast du dich entschieden?»
«Ja.»
«Und wie?»
«Ich habe mich von beiden verabschiedet. Ich will nicht die Andere sein, sondern die Einzige.»
«Das klingt für deine Verhältnisse ungewöhnlich vernünftig.»
«Ach weißt du, mit Vernunft werden auch Weltkriege verhindert.»
«Möchtest du etwas trinken?»
«Ein Wasser. Bitte …»
«… mit Kohlensäure. Ich weiß.»
Informationen zum Buch
«Mit Männern ist es wie mit Aspirin – manchmal braucht man zwei.»
Betrogen. Verlassen. Über 30. Und das Bindegewebe hat die besten Zeiten hinter sich. Kann es noch schlimmer kommen? Ja. Linda verliebt sich in einen verheirateten Mann. Und das bedeutet: neue Unterwäsche
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