Höhenrausch (German Edition)
«Dein Wecker tickt so laut, dass er mich nicht wecken muss, weil ich wegen ihm ohnehin nicht einschlafen kann» (von ihm). Oder: «Hilfe, hätte heute fast deine widerlichen Ohrenstöpsel aufgegessen, weil ich sie für Gummibärchen hielt!» (von mir).
Aber wenn einer in deinem Bett schläft, bewacht von deinen Stofftieren, wenn einer vergisst, deine Balkonpflanzen zu gießen, wenn einer zum Einschlafen die Spieluhr aufzieht, die du so liebtest, bis sich traurige Erinnerungen an sie hefteten wie fettige Fingerabdrücke, wenn sich einer kaputtlacht über deine «Sissi»-DVD-Schmuckkollektion mit persönlicher Widmung von Karlheinz Böhm, wenn einer auf der Flucht ist – genauso wie du – und merkt, dass Fliehen sinnlos ist – genauso wie du: Dann entsteht eine seltsame, anonyme Nähe.
Mittlerweile weiß Andreas so viel über mich, als würden wir uns schon Jahre kennen. Ich versuche, ihn zu trösten, wenn er sich einsam fühlt in der Wohnung, die ich gerade so schlimm vermisse. Entweder schreibe ich dann Mails, die ich für lustig halte, oder mache ihn auf Bücher und Filme in meinen Regalen aufmerksam, die mir immer geholfen haben, mich von meinem Kummer abzulenken.
Nun gut, bei der Empfehlung, sich «Pretty Woman» anzuschauen, hatte ich seinen Geschmack wohl nicht hundertprozentig getroffen. Und bei «Arielle die Meerjungfrau» ließ er sich nicht mal überreden, die DVD im Regal zu suchen. Aber er musste zugeben, dass die Lektüre von «Asterix und Kleopatra» und «Asterix bei den Belgiern» fast immer zu augenblicklicher Besserung der Laune führt.
Im Gegenzug versorgt mich Andreas mit Berlin-Adressen. Bevor ich das erste Mal das Haus verließ, kannte ich den besten Thailänder am Prenzlauer Berg, den «Fettnapf» – die beste Frittenbude, den schönsten Wochenmarkt, und ich hatte drei Telefonnummern von Freunden von Andreas, die sich bereit erklärt hatten, mit mir auszugehen – wenn es denn unbedingt sein müsse.
Und dank Andreas kannte ich den besten Döner-Laden Berlins, der dazu noch rund um die Uhr geöffnet war. Bereits mehreren Abenden, die einsam zu werden drohten, hatte ich im «Grill- und Schlemmerbuffet» am Rosenthaler Platz noch eine positive Wendung geben können. Der Döner dort ist absolut knorpelfrei und einer der leckersten, die ich je gegessen habe. Ich darf mich auf diesem Gebiet als Spezialistin bezeichnen, denn Döner ist für mich das Größte. Nichts macht mich so schnell glücklich wie der Biss in einen guten, großen Döner mit viel Tzatziki und Zwiebeln.
Ich habe mir tatsächlich schon morgens um vier an den wackeligen Stehtischen des «Grill- und Schlemmerbuffets» den Kummer weggegessen. Da stand ich dann, gleich vor den beiden Spielautomaten, am abgeschabten Holzstehtisch, und schon der Anblick des schwitzenden, sich langsam drehenden, riesigen Fleischspießes stimmte mich dankbar und andächtig.
Ich verstand Andreas gut, dass er gebeten hatte, ich möchte ihm nicht länger von meinen nächtlichen Döner-Gelagen berichten. Er habe kaum Heimweh, aber der Gedanke ans «Grill- und Schlemmerbuffet» sei eine Qual.
Welcher Liebeskummer Andreas zur Flucht aus Berlin bewogen hat, weiß ich nicht. Aber irgendwann werde ich ihn danach fragen. Jedenfalls sind wir auf eine besondere Weise fremde Freunde geworden.
Lustmolch war nach der vierten Runde Sekt offensichtlich zu der Ansicht gelangt, dass wir Freunde werden sollten. Er senkte seine Stimme so tief wie möglich, sah mir verschwörerisch in die Augen und fragte: «Da du offensichtlich nicht Sexgott siebenundzwanzig bist, wer bist du dann? Egal, was du heute Abend erleben wolltest, mit Sex hätte das mit Sicherheit nicht das Geringste zu tun gehabt.»
Dabei musterte er mich und meinen Ausschnitt mitleidig.
«Wie meinst du das?»
Hätte ich meine Bluse doch einen Knopf weiter aufmachen sollen? Und die schwarze Hose? Zu seriös? Die Schuhe zu flach? Die Kette zu bieder?
«Ich hatte keine Zeit, mich groß umzuziehen.» Ich hatte seit dem frühen Nachmittag etwa acht verschiedene Kombinationen probiert.
«Also mich brauchst du wirklich nicht anzulügen, Süße. Die Frau muss erst noch geboren werden, die sich keinen Kopf macht, was sie bei der ersten Verabredung anzieht. Wenn das jemals was werden soll mit deinen Blind Dates, solltest du dringend die Schuh-, Dekolleté- und Po-Frage checken. So, und jetzt möchte ich mich erst mal richtig vorstellen: Erdal Küppers. Wohnhaft in Hamburg, aber als Lustmolch auf Jagd in
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