Die Donovans 4: Der verzauberte Fremde
PROLOG
S chwarz wie die Nacht und hurtig wie der Wind, preschte der Wolf durch die Vollmondnacht. Er rannte, weil er es genoss, allein zwischen hoch aufragenden Stämmen von mächtigen Bäumen, in den dunklen Schatten des Waldes, durch den Zauber und die Geheimnisse der Nacht.
Der Wind wehte vom Meer herüber und strich durch die Fichten, entlockte ihnen leise Töne, die von uralten Zeiten berichteten, ließ sie ihren würzigen Duft in die Nacht verströmen. Kleine Kreaturen, die Augen im Dunkeln leuchtend, zogen sich zurück, um aus dem sicheren Versteck der kraftvollen schwarzen Gestalt nachzusehen, die den feinen Nebelschleier zerteilte, der über dem Waldboden waberte.
Er wusste, dass sie da waren, konnte ihre Anwesenheit riechen, hörte das angstvolle Schlagen ihrer kleinen Herzen. Aber heute Nacht jagte er nichts, außer der Nacht selbst.
Er gehörte keinem Rudel an. Sein einziger Begleiter war die Einsamkeit.
Doch selbst grenzenlose Freiheit und berauschende Geschwindigkeit vermochten die Unruhe nicht zu stillen, die in ihm schwelte. Auf der Suche nach innerem Frieden hatte er den Wald durchquert, war über die Klippen gelaufen, hatte die Lichtungen aufgesucht, aber nichts hatte ihn beruhigen, besänftigen können, nichts ihm seinen Frieden geben können.
Als der Pfad weniger steil anstieg und der Wald sich zu lichten begann, verfiel er in einen langsameren Trott. Sog die Luft ein, witterte. Da war etwas… es lag in der Luft. Etwas, das ihn dazu antrieb, die Klippen hoch über dem Pazifik zu erklimmen. Mit geschmeidigen, kraftvollen Bewegungen stieg er hinauf auf den höchsten Punkt der Felsen, die goldenen Augen leuchteten, die feine Nase schnuppernd in den Wind gehalten.
Dort oben auf dem höchsten Punkt, wo der silbrige Mond zum Greifen nahe schien, während tief unten die Brandung mit Wucht gegen die Felsen schlug, hob er den Kopf und stieß seinen Ruf aus. Den Ruf an das Meer, an den Himmel, an die samtschwarze Nacht.
An die Magie.
Das Echo des Heulens drang durch die Nacht, fragend, nach Antworten verlangend. Mit einer Macht, die so natürlich war wie das Atmen.
Doch das leise Flüstern, das ihm antwortete, sagte ihm nicht mehr, als dass Veränderungen sich ankündigten. Anfang und Ende. Schicksal.
Sein Schicksal wartete auf ihn.
Erneut warf der einsame Wolf mit den goldenen Augen den Kopf zurück und rief. Da war noch mehr, und er würde es erfahren. Jetzt bebte die Erde, das Wasser begann zu wirbeln. Weit hinten am Horizont zuckte ein gleißender Blitz über das dunkle Meer. In dem Schein, der kurz den Himmel erhellte, nicht länger als ein Herzschlag, war die Antwort zu sehen.
Die Liebe wartet.
Und die Magie ließ die Luft erzittern, tanzte über dem Meer. Winzige Lichtfunken hüpften auf dem Wasser, drehten sich im Kreis, wurden zu einer Spirale, stiegen in den sternenübersäten Himmel auf und zerstoben zu einer leuchtenden Wolke.
Der Wolf beobachtete, lauschte. Selbst als er in die Schatten des Waldes zurückkehrte, hallte die Antwort in ihm nach.
Die Liebe wartet.
Seine Unruhe nahm zu, mit jedem Schlag, den sein Herz tat. Er jagte über den Pfad, mit kraftvollen Sprüngen, zerriss die Nebelschwaden zu spinnwebzarten Gebilden. Sein Blut erhitzte sich durch die Geschwindigkeit, pulsierte in ihm. Er drehte nach links ab, brach aus dem Wald heraus, in den warmen Lichtschein, der von dort schimmerte. Ein Blockhaus, solide gebaut, die erleuchteten Fenster hießen ihn willkommen.
Das Flüstern der Nacht verstummte.
Als er die Stufen erreichte, stieg weißer Rauch auf, blaues Licht erstrahlte. Und der Wolf wurde zum Mann.
1. KAPITEL
A ls Rowan Murray den ersten Blick auf die Hütte warf, verspürte sie sowohl Erleichterung als auch ein gewisses Unbehagen. Erleichterung, weil sie die lange Reise von San Francisco zu diesem abgeschiedenen Ort an der Küste Oregons endlich hinter sich hatte. Das Unbehagen allerdings entstammte genau dem gleichen Grund.
Sie war hier. Sie hatte es tatsächlich getan.
Was jetzt?
Der logische nächste Schritt war natürlich, erst einmal aus dem Geländewagen auszusteigen, die Haustür aufzuschließen und sich in dem Blockhaus umzusehen, das für die nächsten drei Monate ihr Zuhause sein sollte. Koffer und mitgebrachte Vorräte auspacken. Sich eine Tasse Tee aufbrühen. Eine heiße Dusche nehmen.
Ja, das waren alles sehr praktische, sehr vernünftige Überlegungen.
Stattdessen blieb sie sitzen, wo sie war, auf dem Fahrersitz ihres zwei Wochen alten
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