Höhenrausch (German Edition)
Mann fürs Leben zu finden», «Die neue Kunst, den Mann fürs Leben zu finden» und «Die Kunst, den Mann fürs Leben zu halten».
Ich seufzte und fragte meinen Tannenbaum: «Warum kann sie nicht Kekse backen wie andere Mütter auch?»
Meine Mutter schien mindestens so besorgt wie ich, dass mir das Glück der ewigen Liebe womöglich versagt bliebe. Kein Grund, wie ich finde, das so offen zu zeigen und mich mit derartig platter Lektüre zu belästigen. Zwei der drei Bücher hatte ich außerdem schon.
Beim weiteren Inhalt des Pakets hatte sich meine Mutter nochmal selbst um Längen unterboten. Es handelte sich um ein Kissen, kein normales, harmloses, natürlich nicht. Ich dachte, ich sehe nicht recht. Es war ein Kissen in Form eines halben männlichen Oberkörpers mit einem Arm dran. Um den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu gewährleisten, hatte meine Mutter die entsprechende Produktbeschreibung aus dem Katalog beigelegt:
«Kissen: Halber Mann.
Bessere Hälfte. Schluss mit einsam: Kuschelkissen für alle, die endlich mal wieder an der Schulter eines Mannes einschlafen wollen.»
Darunter war das Foto einer Frau abgebildet, die sich gerade glücklich zwischen Kissen-Torso und Kissen-Arm schmiegt. Auf ihrer Hüfte liegen die unförmigen, steifen Kissen-Finger der Kissen-Hand mit der Anmut von leicht angefrorenen Leichenteilen.
Angewidert betrachtete ich den halben Mann. Sollte ich ihn sofort wegschmeißen oder zunächst an einem unauffälligen Ort deponieren? Ich entschied mich für ein sicheres Zwischenlager.
«Hilf mir, Silke. Morgen Abend kommt Draco, und ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll. Da leide ich monatelang wie ein Hund unter der Trennung, und kaum erfüllen sich meine kühnsten Hoffnungen, weiß ich nicht, wie ich mich entscheiden soll.»
«Wenn ich dich an eins erinnern darf: Deine kühnste Hoffnung war, Draco zum Teufel zu jagen, sobald er wieder zu dir zurückwill. Die Gelegenheit zur Rache hättest du jetzt.»
«Stimmt. Bloß habe ich jetzt kein Interesse mehr an Rache.»
«Sondern?»
«Ich will nicht allein bleiben.»
«Du bist feige.»
«Vielleicht. Ich habe Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, denn wie oft im Leben hat man zwei gute Männer zur Auswahl?»
«‹Gut› ist hier allerdings ein relativer Begriff. Der eine hat dich betrogen, und der andere ist verheiratet. Vielleicht solltest du mal deine Ansprüche korrigieren – und zwar nach oben.»
«Und wenn ich eine Weile zweigleisig fahre, bis ich mir meiner Gefühle ganz sicher bin? Warum soll ich nicht mal Täter sein statt Opfer? Einmal die Femme fatale sein, dann könnte ich endlich Abenteuergeschichten erzählen, die ich selbst erlebt habe. Leben aus erster Hand!»
«Linda, ich habe zwei Kinder, und für mich ist es schon ein Abenteuer, wenn mein Babysitter bis Mitternacht bleibt. Du fragst also die Falsche. Wahrscheinlich kennt dein Herz schon längst die Antwort, aber die besten Zeiten im Leben hat man eben immer dann, wenn man sich erfolgreich von der Wahrheit ablenkt. Also red dir was ein! Dreh durch! Schnapp über! Wann, wenn nicht jetzt? Und wo, wenn nicht in Berlin? Also, wie ist die Planung?»
«Draco kommt morgen. Zwei Abende später, am Dreißigsten, will sich Johann Berger mit mir treffen. Silvester ist die Nacht der Entscheidung. Da hat mir Spilz eine Einladung ins ‹Week End› besorgt.»
«Kannst du bitte deutsch mit mir reden?»
«Spilz ist ein Freund von Andreas, und das ‹Week End› ist ein Club im zwölften Stock über dem Alexanderplatz.»
«Interessiert es dich eigentlich auch, wie es mir geht? Oder ist dir das Schicksal einer zweifachen Mutter im Herzen von Nordrhein-Westfalen zu langweilig?»
«Jetzt hör schon auf zu spinnen. Also, wie geht es dir?»
«Danke der Nachfrage. Schlecht. Die Hiobsbotschaft aus meinem Leben lautet: Mein Sohn will nächsten Karneval als Cinderella gehen.»
«MORGENS IST ES GUT, ALLEIN ZU SEIN. ODER WEIT UNTER FÜNFUNDZWANZIG»
Es ist leicht gesagt. Und deswegen sagt es auch jeder ständig. Es steht auch in jedem Roman, der erwartbar auf ein Happy End zusteuert, und es kommt in jedem Song vor, den man sich anhört, wenn man mal wieder unter irgendwas leidet, was mit Liebe zu tun hat.
Diese leichtfertig gesagten und gesungenen Sätze lauten: «Folge einfach deinem Gefühl», «Höre auf die Stimme deines Herzens», «Listen to your heart» oder «Tu, was dein Instinkt dir rät».
Ich kann darauf nur erwidern: Wären meine Emotionen ein Wegweiser
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