Höhenrausch (German Edition)
in der Wüste, würde ich niemandem mit begrenztem Wasservorrat raten, sich nach ihm zu richten. Und die Stimme meines Herzens klingt eher wie ein Chor aus Knaben, die alle gleichzeitig in den Stimmbruch gekommen sind.
Das Einzige, was mein Instinkt zurzeit rät, ist, ihm auf keinen Fall zu folgen.
Beim Aufwachen könnte ich wetten, dass ich meinen Exfreund liebe. Denn morgens um acht möchte ich nicht neben jemandem liegen, der noch nicht weiß, wie ich morgens um acht aussehe. Mein Anblick mag auch meinem guten alten Draco nicht angenehm sein, aber immerhin ist er ihm vertraut. Er vermutet nicht, dass ich über Nacht eine Allergie gegen meine eigenen Augen entwickelt habe, weil sie so verquollen und angestrengt aussehen, als hätten sie die ganze Nacht versucht, meinen Kopf und das Schlafzimmer zu verlassen.
Draco würde auch beim Blick auf mein morgendliches Dekolleté nicht in ungezügelte Panik verfallen. Die irreparablen Sonnenschäden in Kombination mit einer für Seitenschläfer typischen zusätzlichen Verfaltung addieren sich hier Nacht für Nacht zu einer Problemzone, die im Krimi ein abgesperrter Tatort wäre.
Morgens ist es gut, allein zu sein. Oder weit unter fünfundzwanzig.
Abends liebe ich dann Johann Berger. Abenteuer erleben – immer sorgfältig geschminkt natürlich. Leidenschaft statt Vertrautheit. An einem Tatort sein, statt «Tatort» zu gucken. Sich verzehren und sich gegenseitig vormachen, die Sehnsucht werde niemals aufhören, selbst wenn sie sich erfüllt.
Nachts will ich Geliebte sein. Sex haben, bei dem man ins Schwitzen gerät. Vor und nicht erst nach dem Abschminken. Vor und nicht nach dem Zähneputzen, denn die Küsse der Geliebten schmecken nach Alkohol oder Schokolade oder Trüffel. Und keinesfalls nach Blend-a-Med-Karies- und Parodontose-Prophylaxe-Gel. Ja, nachts will ich Geliebte sein. Aber frühstücken würde ich gerne mit einem langjährigen Lebenspartner und meiner «Intense Anti Wrinkle Firming Mask» im Gesicht.
Es ist doch wie mit Autos: Am tollsten wäre, man könnte sich einen soliden Viertürer für den alltäglichen Stadtverkehr leisten und ein Liebhaberstück für die Ausflüge am Wochenende. Je länger ich nachdenke, desto mehr favorisiere ich das Zwei-Männer-Modell: ein Liebhaberstück und einen für den alltäglichen Stadtverkehr.
Vielleicht betrachten wir Partnerschaften viel zu sehr unter dem Exklusivitätsaspekt. Ist es nicht total kleinlich, jemanden nicht teilen zu wollen, dem man doch nicht alles geben kann? Könnte es sein, dass der Anspruch auf Treue der eigentliche Ruin ist für die moderne Beziehung?
Herrje, wir sterben halt nicht mehr mit zweiunddreißig an Schwindsucht oder Beulenpest. Früher war es leicht, sich zu lieben, «bis dass der Tod euch scheidet», weil der Tod mit schöner Verlässlichkeit die Paare trennte, ehe sie sich miteinander langweilen und darüber nachdenken konnten, ob sie sich in der Beziehung auch angemessen selbst verwirklichen können.
Aber heute? Mit zwölf bist du geschlechtsreif, mit zweiundachtzig durchschnittlich tot. Das sind siebzig Jahre, die du Zeit hast, zu lieben, Sex zu haben und darüber zu streiten, wer mit dem Streit angefangen hat. Kein Wunder, dass es da hin und wieder mal zu etwas Leerlauf kommt.
Man sollte es doch ganz klar so sagen, wie es ist: Es gibt keine Leidenschaft in langen Beziehungen! Es gibt Liebe, es gibt Vertrautheit, es gibt schöne Rituale, aber du drehst nicht mehr durch vor Lust, wenn er sich beim Gähnen streckt und dabei ein Stück haariger Bauch zum Vorschein kommt – der übrigens noch nie durchtrainiert war, was dir früher aber nicht so aufgefallen ist.
Ich denke, eine dauerhaft triebgesteuerte Beziehung kann man nur mit Putengeschnetzeltem in Sahnesauce und Apfelpfannkuchen haben. Alles andere wird mit der Zeit alltäglich. Damit muss man sich abfinden.
Wer Liebe will, muss auf Leidenschaft verzichten.
Wer beides will, muss auf Treue verzichten.
Kann man zwei Männer lieben?
Und falls ja: Darf man das?
Vielleicht sollte ich einfach meinem Gefühl folgen.
«WER NICHTS WAGT, DER KANN AUCH NICHTS VERLIEREN»
Klar, er hat es ja gut gemeint, aber ich möchte nicht wissen, wie viele wirklich sehr schlimme Dinge auf dieser Welt passiert sind, bloß weil irgend so ein Trottel meinte, es gut meinen zu müssen.
Ich bin schweißgebadet, habe einen ekligen Geschmack im Mund, und ein Blick in den Spiegel bestätigt mir, dass ich aussehe wie ein Überlebender des Grubenunglücks
Weitere Kostenlose Bücher