Hoehepunkte der Antike
mit den angeblich „internationalen“ Abschlüssen Bachelor und Master unter Missachtung aller sachlich
bedingten Lehrtraditionen politisch eingefordert wird, damit aber in Wahrheit einer dezidiert unwissenschaftlichen reinen
Fachausbildung an den Universitäten das Wort geredet wird.
Vor allem im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ist dieses „gelehrte Recht“ als geltendes Recht übernommen worden.
Doch bildet der vielschichtige Prozess der Rezeption des römischen Rechts ab dem 12. Jahrhundert ein eigenes Thema und kann
hier nicht näher dargestellt werden. In Frankreich erlebt im 16. Jahrhundert die humanistische Jurisprudenz, welche die historischen
Realitäten der Antike und die Erkenntnisse der Philologie bei der Interpretation der Quellen berücksichtigt, ihre höchste
Blüte; prominente Namen sind Jacobus Cuiacius, Hugo Donellus und Antonius Faber. Im 17. und 18. Jahrhundert entwickelt sich
in Deutschland der so genannte
usus modernus Pandectarum
, |228| der rezipiertes römisches Recht und überkommene Gewohnheiten miteinander zu verbinden versucht. Auch die im Zuge der Auf klärung
und des Naturrechts entstehenden Privatrechtskodifikationen der Nationalstaaten wie das Preußische Allgemeine Landrecht von
1794, der französische code civil von 1804, das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 oder später das
schweizerische Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht sind inhaltlich weitgehend vom römischen Recht beeinflusst. In besonderem
Maße gilt dies für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das seit dem 1. Januar 1900 in Kraft ist. Es ist ein Produkt
der so genannten Pandektistik, der Wissenschaft vom römischen Recht, die sich im 19. Jahrhundert vor allem unter dem Einfluss
der von Friedrich Carl von Savigny begründeten historischen Rechtsschule entwickelte und durch Juristen wie Georg Friedrich
Puchta, Rudolf von Jhering und vor allem Bernhard Windscheid zur Vollendung geführt wurde. Insbesondere im Schuldrecht, im
Mobiliarsachenrecht und Erbrecht hat sich das Gesetz bisher nur wenig geändert. Auch die am 1. Januar 2002 in Kraft getretene
Schuldrechtsreform hat – vermutlich sogar entgegen der erklärten Absicht mancher ihrer Verfasser – in einigen Bereichen eine
Wiederannäherung an flexible Muster des römischen Rechts bewirkt. Aber auch über Europa wirkt das römische Recht mittelbar
hinaus: So beruht etwa das japanische Zivilgesetzbuch auf einer Auseinandersetzung mit der französischen und der deutschen
Kodifikation; die Türkei hat sich am schweizerischen Recht orientiert; Lateinamerika rezipierte das spanische Recht, das wiederum
zur Familie des französischen code civil gehört.
Demnach lässt sich konstatieren, dass die meisten europäischen oder von Europa beeinflussten Rechtsordnungen (mit Ausnahme
der Gerichtspraxis in England und – konsequenterweise – in den USA) römischen Rechtsvorstellungen verpflichtet sind. So wird
man mit Recht von einer gleichsam universalen Geltung dieser vom Höhepunkt der Rechtskultur ausgehenden Ideen sprechen können.
Epilog: Vom Gipfel herab?
Was aber bleibt nach diesem Höhepunkt? Die vorstehenden Bemerkungen versuchten, einerseits die Entstehung des justinianischen
Corpus iuris civilis
und andererseits dessen Nachwirken auf die Entwicklung |229| Europas zu beschreiben. Schon Bernhard Windscheid hielt aber in einer Anmerkung kurz nach dem eingangs zitierten Text fest:
„Das römische Recht ist nicht
das
Recht, so wenig wie die griechische Kunst
die
Kunst ist; aber das geistige Kapital der Menschheit ist durch die griechische Kunst nicht in höherem Maße bereichert worden
als durch das römische Recht.“ So kann man fragen, ob das römische Recht etwa 2000 Jahre nach seiner Entstehung unter den
seinerzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen und trotz einer Vielfalt nationaler Privatrechtsgesetzbücher heute noch etwas
vermitteln kann, das in einem recht vagen Sinne verwend- oder verwertbar ist. Zu banal wäre eine Antwort, die darauf verweisen
würde, dass auch wir Computer und Autos nach Grundsätzen kaufen, übereignen oder vererben, die schon von den Römern ersonnen
worden sind. Schon wichtiger wäre die Feststellung, dass es dem am römischen Rechtsdenken Geschulten leichter fallen dürfte,
die spezifischen Kennzeichen der eigenen Rechtsordnung im Vergleich zu denen anderer normativer Systeme zu erfassen, zu würdigen
und diese
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