Hoehepunkte der Antike
Augustus (der 20 v. Chr. selbst vorbeisah) ließ den
Tempel restaurieren und die Stadt zweckmäßig verschönern. Eine lange, abermals schläfrige Zeit der Blüte lag vor den Hütern
eines großen Andenkens, die sich, wenn sie Anliegen an die Kaiser hatten, freundlicher Behandlung sicher sein konnten. Die
Ausnahme bildete Augustus’ scharfzüngiger Nachfolger Tiberius, dem die Stadtväter lässigerweise etwas spät zum Tod seines
Sohnes kondolierten. Der Kaiser ergriff die Gelegenheit, den Gesandten seinerseits sein tiefes Beileid auszusprechen – das
arme Troia habe ja, ebenfalls „kürzlich“, seinen geliebten Helden Hektor verloren.
Als eine neue Epoche anbrach, gelang es Ilion abermals, der Geschichte zu entkommen. Konstantin, nach langen Kämpfen unangefochtener
Herrscher im römischen Reich, sah sich nach einer Residenz an der Nahtstelle Europas und Asiens um. Sein Blick fiel auf Ilion
– doch auserwählt wurde Byzanz auf der anderen Seite der Meerenge. Das gut heidnische Ilion war wohl dankbar, keine christliche
Metropole zu werden; man opferte noch eine Zeit lang den Göttern, doch weder Götter noch Troia hatten ihre alte Anziehungskraft.
Sehr langsam schrumpfte die Stadt zum Städtchen, dann zum Dorf, in dessen letzten Wohnhäusern etwa im 13. Jahrhundert das
Licht erlosch. Der Geschichte war Ilion – zu dem es in der Antike eigene Reiseführer gegeben hatte – so gründlich abhanden
gekommen, dass zur Zeit der Auf klärung in zahllosen Traktaten und Reisebeschreibungen um den Ort gezankt wurde. Das allgemeine
Interesse war gering: Homer begeisterte, doch die Topographie seiner Dichtungen blieb ein Thema unter Professoren, Lehrern
und gebildeten Dilettanten. Sie glaubten auch nicht allzu viel davon.
Rückruf in die Geschichte
Dann geschah wieder einmal Paradoxes. Dasselbe Deutschland, das an der Wende zum 19. Jahrhundert eine kecke Philologie hervorbrachte,
die das Genie Homer beinahe zum Phantom erklärte, es schickte ausgleichshalber |14| auch einen Romantiker aus, dem es vorbehalten war, Troia zum „modernen Mythos“ zu machen.
Selten hat jemand so an einen Dichter geglaubt. Heinrich Schliemann war kein großzügiger Mensch, doch für Homer warf der hart
rechnende Kaufmann seinen Reichtum – er hatte am Krimkrieg gut verdient – mit beiden Händen in den Kampf. Zum Ausgleich wollte
er allerdings Schätze und Wunder sehen, nicht nur Keramik und Knochen. Und wie vielen Autodidakten vor- und nachher waren
ihm die Feinheiten im Streit um die Quellen egal: Homer war die Wahrheit, wozu die Ausleger! Hatte er Ilion, dann hatte er
das goldene Seil, an dessen anderem Ende der ganze Troianische Krieg hing, und er würde ihn heraufziehen, auch wenn alle Professoren
der Welt sich dagegenstemmten. Wie sie es natürlich taten. „Du kannst dir nicht vorstellen, daß jemand, der Tüten geklebt
und Rosinen verkauft hat, den alten Priamus ausbuddelt“, ließ Theodor Fontane in
Frau Jenny Treibel
(Berlin 1893, Kap. 6) einen ketzerischen Gymnasiallehrer spotten. Glück und Besessenheit Schliemanns waren stärker und triumphierten,
vor allem aber sein Geschick im Inszenieren.
Die Ironie begleitete die Geschichte dieses Triumphes von Anfang an. Schliemann brachte viel Gläubigkeit und wenig aktuelle
Literaturkenntnis mit. So begann er 1868 an einer Stelle zu graben, die schon als zu jung erwiesen war. Frank Calvert, der
örtliche Konsul der Vereinigten Staaten (der den richtigen Fleck halb aufgekauft und sondiert hatte, aber dem nun das Geld
fehlte), führte ihn auf den Hisarlık genannten Hügel, erlaubte ihm das Graben und sah sich fortan fast vergessen. Der „Entdecker“
Schliemann strengte sich nicht an, den Irrtum zu korrigieren.
Der Begeisterte war hergekommen, um zu finden, und fand allzu viel. Ein glückliches Verhängnis wollte, dass Schliemann eine
Stadt freilegte, die ihre nächsten Pendants erst im Orient hatte; sie war am äußersten Rand des Klimas gebaut, das den Bau
mit luftgetrockneten Lehmziegeln zuließ, und wie in einem Korallenriff legte sich Schicht über Schicht, Troia auf Troia, wenn
diese billigen, nur einmal brauchbaren Mauern Ersatz verlangten. Gegen solchen Überfluss hatte Schliemann nur seinen Instinkt,
die Wahrheit stecke in der Tiefe. Er musste ihr auf den Grund gehen; nichts konnte so kostbar sein wie die Stadt des Priamos.
Und so grub er sich gegen alle Warnungen ins Entdeckte hinein, |15|
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