Die Töchter der Lagune
Prolog
Im Norden Italiens – zwischen Alpen und Adria – liegt die reiche Ebene Venetiens – einst entstanden durch fruchtbaren Mutterboden aus den Bergen, der von reißenden Bächen in die Täler hinabgetragen wurde. Der von diesen Flussläufen angespülte Schwemmsand wird parallel zum Ufer abgelagert, sodass dort Sandbänke entstehen. Zwischen diesen Sandbänken und der Küste liegen Gruppen von kleinen Inseln verstreut über die brackigen Lagunen. Jenseits der Sandbänke auf einem Archipel, das Hunderte von Inseln in der Mitte der Lagune umfasst, thront die Serenissima, die Königin der Meere – Venedig. Ihr Labyrinth von Gässchen und Kanälen schüchtert den Besucher ein und erfüllt den Venezianer mit Stolz und Liebe für seine Stadt.
Nachdem sie während der Kreuzzüge zu einer der wichtigsten Seemächte aufgestiegen war, erlebte die Republik Venedig während des 15. Jahrhunderts ihre Blütezeit als größte Territorialmacht in Oberitalien. Ihr Reichtum hing nicht länger ausschließlich vom Handel mit fernen Ländern ab. Innerhalb der Stadt selbst war eine umfassende Industrie entstanden, welche unter anderem den Buchdruck, die Seiden- und Baumwollweberei, die Glasbläserei, die Holz- und Elfenbeinschnitzerei, Geschützgießereien und vieles mehr umfasste. Bis zum 14. Jahrhundert war Venedig zur beherrschenden Macht in der Adria, der Ägäis und dem Schwarzen Meer aufgestiegen, vertreten in den Häfen Syriens, mit Handelsniederlassungen in Thyrrenien, Sidon und anderen Städten der Levante. Die Annexion Zyperns im Jahre 1489 markierte den Höhepunkt venezianischer Expansion in der Levante.
Diese Vorherrschaft und die Kontrolle der Handelsrouten zwischen Europa und der östlichen Welt machten die Republik zum natürlichen Feind des ebenso expandierenden Osmanischen Reiches, das im Jahre 1453 Konstantinopel der Kontrolle der Serenissima entriss. Als gut sechzig Jahre später auch Ägypten dem Feind in die Hände fiel, war Zypern plötzlich von türkischen Gebieten umgeben. Die europäischen Mächte, die der wachsenden Stärke der Republik Venedig neidvoll gegenüberstanden, ließen sie im Kampf gegen die islamische Macht im Stich. Die Venezianer waren daher gezwungen, den Türken nahezu ohne fremde Hilfe entgegenzutreten. Zunächst gelang es der Republik, durch hohe Tributzahlungen an Süleyman den Prächtigen eine Konfrontation zu vermeiden. Nachdem es allerdings seit 1522 im Mittelmeerraum immer wieder zu türkischen Vorstößen gekommen war, beschloss die Serenissima, sich auf einen osmanischen Angriff vorzubereiten. Sie entsandte den namhaften Festungsbauer Giovanni Girolamo Sanmichele, um die Befestigungsanlagen der Zitadellen von Famagusta, Nikosia und Kyrenia zu verstärken, womit sie sich den Zorn des türkischen Feindes zuzog. Als im Jahre 1569 das gesamte Magazin des Arsenals in Venedig – der größten Schiffswerft der Welt – in die Luft flog, glaubte Sultan Selim II. die Republik geschwächt und wagte einen Großangriff auf Zypern.
Die Eroberung der Insel reizte den Sultan nicht nur aufgrund ihrer strategisch wichtigen Lage, sondern weil sie ihm zusätzliche Einnahmen bescheren und den Nachschub an seinen Lieblingsweinen sichern würde. Durch die Vorherrschaft im östlichen Mittelmeer würde er gleichfalls in der Lage sein, die Pilgerroute nach Mekka zu sichern, die in der Vergangenheit immer wieder durch Kreuzzug führende Galeeren aus den Häfen Zyperns gefährdet worden war. Am 1. Juli 1570 tauchte die türkische Flotte mit 350 Schiffen vor der Westküste der Insel auf und warf Anker vor Larnaka. Der türkische Kommandant, Lala Mustafa Pascha, schickte Aufklärer ins Innere, um die Stärke und den Widerstandswillen der Siedlungen auszukundschaften. Nikosia und Kyrenia fielen, und Famagusta blieb die letzte befestigte Stadt, die es gegen die Feinde zu verteidigen galt. Im Oktober 1570 führte Mustafa Pascha seine gewaltige Armee gegen Famagusta, nachdem die Venezianer sich geweigert hatten, das Ultimatum Selims II. einzuhalten und Zypern an die Türken abzutreten. Die Venezianer waren der osmanischen Flotte um ein Vielfaches unterlegen und die Chancen eines Sieges daher vernichtend gering. Unter den Verteidigern Famagustas breitete sich Verzweifelung aus. Erst im Januar 1571, nachdem die türkische Flotte für den Winter nach Konstantinopel zurückgekehrt war, erreichten zwölf venezianische Schiffe mit Munition, Proviant und Verstärkung die umkämpfte
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