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Höllenengel

Höllenengel

Titel: Höllenengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thrainn Bertelsson
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ihm,
die halbvoll mit kaltem Kaffee war.
    Hundeleben.

Acht
    Der Grabstein aus grauem, trutzigem Granit wirkte, als habe die
Seele des Professors sich geweigert, ihm in die Erde zu folgen, und
oben auf dem Grab Platz genommen, entschlossen, den
desinteressierten Lebenden, deren Weg durch den Hiiu-Rahu-Friedhof
in Tallinn führte, seinen Namen aufzudrängen.
    KUKK Nigul
1917­2006
    Womit aber nicht behauptet werden soll, dass morgens um sechs viele
Menschen unterwegs wären.
    Reelika Nuul, die der selige Professor immer »Null
Relik« oder »Rest: null« genannt hatte, stand am
Grab, verteilte weiße Körner aus einem
Papiertütchen auf das Gras und hielt sich ihr Kopftuch vors
Gesicht.
    In einiger Entfernung standen der Chauffeur Andrus Jarvilaturi, der
Leibwächter und Kollege von Frau Nuul, und Vello Viljan, der
Sohn seiner Schwester, der glaubte, dass Andrus nicht bemerkte, wie
verkatert er an diesem Tag, seinem ersten Arbeitstag,
war.
    »Warum verteilt sie Dünger auf dem Gras?«, fragte
Vello und zündete sich eine Zigarette an. »Ich
hätte gedacht, dass die Pflanzen auf einem Friedhof genug
Nahrung von unten bekommen.« »Sehe ich wie ein
Volltrottel aus?«, fragte Andrus und betrachtete seinen
jungen Neffen näher.
    »Nein, wieso glaubst du das?«
    »Weil ich dich deiner Mutter zuliebe probeweise eingestellt
habe.«
    »Du wirst es nicht bereuen«, sagte Vello.
»Männer wie mich findet man nicht an jeder
Eck...«
    Die Ohrfeige kam so unerwartet und war so präzise
ausgeführt, dass der junge Mann mitten im Wort verstummte, und
das Nächste, was er von sich wusste, war, dass er auf dem
Rücken lag, mit Blick auf einen Grabstein. Die Sonne schien
ihm direkt in die Augen und blendete ihn, bis der glattrasierte
Schädel seines Onkels Andrus über ihm erschien und ihm
Schatten spendete.
    Andrus streckte die Hand aus und half dem jungen Mann auf die
Beine.
    Vello schüttelte benommen den Kopf. Er wusste, dass Onkel
Andrus bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau zur sowjetischen
Mannschaft der Gewichtheber gehört hatte und bestimmt Gold
gewonnen hätte, wenn die neiderfüllten Russen ihn nicht
unzutreffenderweise des Dopings beschuldigt und ein lebenslanges
Wettkampfverbot gegen ihn ausgesprochen hätten.
    »Wenn ich genötigt werde, deine Wange zu streicheln,
kann dir keine menschliche Macht wieder auf die Beine
helfen«, sagte Andrus freundlich. »Verstehst du
das?«
             
    »Ja«, sagte Vello und verstand kein Wort.
    »Verstehst du dann auch, dass, wenn man dir sagt, du sollst
um halb sechs antreten, du pünktlich da sein
sollst?
    Du darfst eine Minute zu früh kommen, aber keine Minute zu
spät. Und dabei ist es auch gleichgültig, ob Weihnachten
ist oder Jaanipäev .
Verstehst du das?«
    » Yes «, sagte Vello und nickte.
»Gut«, sagte Andrus. »Und noch etwas: Heute
belasse ich es bei einer Warnung, aber wenn ich jemals Grund zur
Annahme habe, dass du vom Wodka verkatert oder zugedröhnt mit
Dope zur Arbeit erscheinst, dann reiße ich dir den Kopf ab.
Verstehst du das?«
    »Ja«, sagte Vello.
    »Also, mein Freund«, sagte Andrus. »Reich mir die
Hand.«
    »Okay«, sagte Vello und streckte seine schweißige
Hand vor, obwohl er nicht ganz verstand, welche Art Pakt sein Onkel
mit Handschlag besiegeln wollte.
    Andrus' Pranken umschlossen die schmale Hand des jungen Mannes wie
ein Schraubstock. Vello bemühte sich, den Druck wie ein ganzer
Mann zu erwidern, damit sein Onkel spürte, dass er den Worten
Taten folgen lassen wollte, und war überrascht, als Andrus
seine Hand zum Mund führte. Wollte der Idiot ihm die Hand
küssen?
    Was für ein Unfug war das?
    Er bekam keinen Kuss. Stattdessen spürte Vello die warme Zunge
seines Onkels an seinem kleinen Finger.
    Dann kam ein stechender Schmerz, als sich die Pranken einen
Augenblick lang fester um seine Hand schlossen, und der Schmerz
dauerte an, obwohl Andrus die Hand losließ. Der dämliche
Muskelprotz musste jeden einzelnen Knochen in seiner Hand gebrochen
haben. Vello jaulte gequält auf, griff mit der linken Hand
nach der rechten und sah plötzlich, dass Blut aus der Hand
quoll oder besser gesagt aus dem kleinen Finger, nein, aus einer
Wunde, wo der kleine Finger gewesen war.
    Vello wurde schwindelig und er fiel vor seinem Onkel auf die Knie.
Die Welt rotierte um einen blutigen Fingerstumpf anstelle eines
kleinen Fingers, und in der blutigen Wunde leuchtete ein
weißer Knochen. »Verstehst du jetzt?«, fragte
sein Onkel. »Alles, was du

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