Hoellenengel
entscheidest.«
Jetzt konnte Sveinn seine Zufriedenheit nicht länger
verhehlen. Er strahlte geradewegs, dass er diese Anerkennung seiner
Mentorin bekommen hatte.
»Dann schlage ich vor, dass wir den Gehängten nehmen. Es
handelt sich allerdings um einen Selbstmord und der Zeitpunkt ist
ziemlich gesichert. Aber interessant deswegen, weil ich noch nie
von einem Mann gehört habe, der über eins achtzig ist und
sich an einem Türgriff von nur einem Meter zehn Höhe
erhängt hat. Der Mann hat sich mit seinem Gürtel
aufgeknüpft«, fügte er erklärend hinzu.
»Ich habe ihn selbst gestern Morgen im Playboy-Club
abgeschnitten, bevor ich runter nach Þingvellir musste. Ich
bin ziemlich gespannt darauf, was wir finden.«
Es war zu spät für Þórhildur, ihre Meinung
doch noch zu ändern.
»Ich muss kurz ins Bad«, sagte sie. »Ich bin
gleich wieder da.«
»Lass dir Zeit«, sagte Sveinn. »Ich kümmere
mich darum, alles vorzubereiten, sodass wir in null Komma nichts
fertig sein werden.« Sie ging wieder ins Bad. Sah wieder in
den Spiegel. Sie erschrak, als sie sich selbst sah.
Víkingur merkt bestimmt, dass mein Gesicht wie eingefroren
ist.
Entspanne dich, Mensch, er wird nichts bemerken. Du bist einfach
ein bisschen ausgelaugt.
Sie schluckte die Pillen mit Leitungswasser hinunter.
Sah dann wieder in den Spiegel und machte Grimassen, riss den Mund
auf und lockerte den Unterkiefer. Sie war nicht mehr
eingefroren.
*****
In Reykjavík war das Gästehaus Hlynur als Playboy-Club
bekannt. Diese Bezeichnung rührte nicht daher, dass es im
Inneren so exquisit ausgesehen hätte, sondern war dadurch
entstanden, dass die Gäste nur in Ausnahmefällen
ausländische Reisende waren. Meistens waren es Männer,
die frisch geschieden waren, in Trennung lebten oder denen eine
Scheidung drohte. Trunksüchtige, die mehrmals im Jahr von zu
Hause verschwanden, um sich volllaufen zu lassen, fanden dort
ebenso Unterschlupf wie Ehebrecher, die auf frischer Tat ertappt
und davongejagt worden waren.
Viele glaubten, im Playboy-Club herrschten stete Gaudi und
Munterkeit, und stellten sich vor, die Gäste würden von
leichtbekleideten Bunnys bedient. Nichts war jedoch unzutreffender
als das, denn Zimmerservice gab es keinen und um Empfang und
Reinigung kümmerten sich zwei Männer, die in
Wechselschicht arbeiteten.
Der eine hieß Inunnguaq Jensen, genannt Nonni Quak, und war
ein Grönländer, der erlöst worden war und
aufgehört hatte zu trinken. Dann hatte er angefangen, im
Playboy-Club zu arbeiten, um seine durch Sauftouren entstandenen
Schulden begleichen zu können. Der andere hieß
Phiwokwakhe Mphikeleli, Feigenlilli oder kurz Lilli von den
Stammgästen genannt, die in der Regel zu stark lallten, um
ihre eigenen Namen aussprechen zu können, ganz zu schweigen
von fremdsprachlichen Namen. Er stammte aus Südafrika und
behauptete, von Shaka kaSenzangakhona abzustammen, der
18161828 König der Zulu war. Inunnguaq und Phiwokwakhe
waren beide nach Island gezogen, weil sie isländische Frauen
kennengelernt hatten, Nonni Quak in Kopenhagen und Feigenlilli in
London. Beide hatten getrunken und die Frauen in die Flucht
geprügelt, aber dann wurden sie vom Alkoholismus befreit durch
das Blut des Lammes und die Vermittlung eines gewissen
Sigurður, der Sankt Sigurður genannt wurde und Vorsitzender
der Sekte »Der Kelch« gewesen war, bevor er wegen
Unterschlagung und freizügiger Sexualkontakte mit seinen
Schützlingen im Gefängnis landete.
Als Nonni Quak zur Arbeit erschien, hatte er die Flure des
Gästehauses und zwei freie Zimmer, Nummer 13 und Nummer 28, zu
putzen. Als er zum letztgenannten Raum kam und den Schlüssel
im Schloss drehte, wollte sich die Tür nicht öffnen
lassen. Es war, als hielte jemand dagegen. Mit ganzer Kraft gelang
es Nonni jedoch, die Tür weit genug zu öffnen, um
hineinspähen zu können, und dann sah er, was die Ursache
war. Im Zimmer, das leer sein sollte, war ein
Übernachtungsgast gewesen, der sich aus irgendeinem Grunde
nicht in der Lage gefühlt hatte, die helle Sommernacht zu
überstehen, und Selbstmord begangen hatte. Der Mann hatte sich
erhängt, indem er das eine Ende seines Gürtels an der
Türklinke befestigt und das andere Ende um seinen Hals
geschlungen hatte. Dann hatte er sich mit dem Rücken zur
Tür heruntersacken lassen und auf seinen Tod gewartet,
während der Gürtel seinen Hals einengte.
Es war nicht das erste Mal, dass Nonni einen toten
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