Hoellenfeuer
hatte, die sie in dieses Sanatorium gebracht hatten. Diese Dinge waren jetzt Vergangenheit, nicht mehr wichtig und nicht länger ein Teil ihres Lebens. Jemanden wie Raphael an seiner Seite zu wissen, der sich um sie sorgte und für sie da war, ließ alles andere nichtig und klein erscheinen. Seltsamerweise war Eleanor sich der Tatsache bewusst, dass sie nicht so fühlte, weil Raphael ein Engel war. Sicher war er jemand, an dessen Seite man keinen sterblichen Menschen zu fürchten hatte. Doch für Eleanor wäre es das gleiche Gefühl gewesen, wenn Raphael ein Mensch gewesen wäre. Es war nicht wichtig, was er war – wichtig war nur, dass es ihn gab.
Raphael indes war in sein Zimmer zurückgeschlichen. Es bereitete ihm keinerlei Schwierigkeiten, unbemerkt von den Schwestern und Pflegern der Nachtschicht in sein Zimmer zu gelangen. Wenn er nicht gesehen werden wollte, war er für menschliche Augen unsichtbar. Nicht mehr als ein Schatten und ein Lufthauch. Und dennoch war seine Rückkehr nicht völlig unbemerkt geblieben.
Raphael spürte die fremde Präsenz, noch bevor er die Tür seines Zimmers hinter sich geschlossen hatte. Seine Augen durchsuchten die Dunkelheit des Raumes und sein Geist fühlte durch d as Zimmer, drang in alle Winkel, wand sich um Ecken und Kanten und ertastete schließlich das fremde Wesen.
„Du hast mich erwischt!“, drang eine freundliche Stimme aus der Finsternis.
„Uriel!“, lachte Raphael. „Was machst du hier? Ich hätte dich nicht hier und heute erwartet.“
Das Wesen namens Uriel trat aus der Dunkelheit heraus und sofort war das Zimmer in ein angenehmes Licht gehüllt, welches von beiden Engeln zugleich ausging. Es war offensichtlich, dass die beiden sich gut kannten und aufrichtig erfreut waren, einander zu sehen. Doch sie fielen sich nicht in die Arme oder gaben sich die Hand. Berührungen schienen ihnen untereinander fremd und unnatürlich zu sein.
„Du bist schon der zweite unserer Rasse, der mich innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden hier besucht “, brach Raphael endlich die Stille.
Uriel blickte einen Augenblick lang unbehaglich drein.
„Ich weiß“, erwiderte er schließlich. „Ich hatte letzte Nacht eine lange Unterhaltung mit Samael.“
„In jener Nacht scheint Samael mit vielen gesprochen zu haben “, fiel Raphael ihm nachdenklich ins Wort.
„Dann ist es also wahr “, setzte Uriel wieder an. „Ich wollte ihm nicht glauben, was er sagte.“
„Was hat er gesagt?“
„Dass du nach Tausenden von Jahren aus deinem Schlaf erwacht seist. Aber du seist verwirrt gewesen und hättest dich auf die Seite der Menschen gestellt. Er sagte, du hättest Verbindungen zu einem Menschen, den du beschützt und nicht Gottes Plan unterwerfen willst.“
„Maßest selbst du dir schon an, Gottes Pläne zu kennen?“, zischte Raphael zornig.
„Setze meine Ansichten nicht mit dem Hochmut der Menschen gleich!“, schnappte Uriel zurück. „Ich stehe zu dir. Ich habe schon immer zu dir gestanden. Das weißt du!“
„Ja, ich weiß es“, erwiderte Raphael etwas versöhnlicher. „Aber ich nehme an, Samael hat dir nicht alles erzählt.“
Uriel blickte Raphael fragend an. „Was soll er mir nicht gesagt haben?“
Raphael zögerte einen Augenblick. Dann erzählte er: „Es ist eine junge Menschenfrau. Sie hat mich aus dem bösen Traum geweckt, in dem ich seit Tausenden von Jahren gefangen war. Sie ist im Schlaf in meine Traumwelt eingedrungen und hat mit mir gesprochen.“
Uriel sog scharf die Luft ein. „Ein Mensch ist in deinen Geist eingedrungen?“
„Ja. Sie ist durch den Toten Palast gelaufen, den sich mein Geist in seiner Schwermut errichtet hat, um die wirkliche Welt nicht mehr sehen zu müssen. Und sie hat mich berührt. Nachdem sie mit mir gesprochen hatte, war nichts mehr so wie vorher. Plötzlich nehme ich die Welt wieder wahr. Aber nicht so wie Samael voller Hass und Rachegedanken. Ich sehe, dass Gottes Schöpfung schön ist und ...“
„Wie hat sie das gemacht?“, unterbrach Uriel ihn. „Ich meine, wie ist sie in deinen Geist e ingedrungen? Das können nur Engel!“
„Ich weiß. Sie hat ein Medikament eingenommen gehabt. Ein Schla fmittel. Offenbar wirkt es bewusstseinserweiternd. So hat sie meine Gedanken wahrgenommen und ist dann in meinen Geist eingedrungen.“
Uriel war einen Augenblick lang ganz still. Sein Blick glitt ins Leere und für einen Moment schien er kaum anwesend zu sein. Dann flüsterte er: „Was für eine mächtige Waffe
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