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Höllenflut

Höllenflut

Titel: Höllenflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Cussler
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Schicksal war mehr
als ungewiss.
    Julia hatte ungeahnte Kräfte aufgeboten, mehr als sie für
möglich gehalten hätte, und nur dadurch hatte sie die Folter
überstanden. Sie hatte zwar eine monatelange harte Ausbildung
durchlaufen, doch auf eine derartige Brutalität war sie nicht
gefaßt gewesen. Jetzt verfluchte sie sich, weil sie sich falsch
verhalten hatte. Wenn sie sich demütig in ihr Schicksal ergeben
hätte, hätte sie höchstwahrscheinlich entkommen können. Aber
sie hatte gemeint, sie könnte die Schlepper täuschen, wenn sie
eine angsterfüllte, aber stolze Chinesin mimte. Das war ein
Fehler gewesen, wie sich herausgestellt hatte.
    Jetzt war ihr klar, daß es an Bord dieses Schiffes keinerlei
Gnade gab, wenn sich jemand widersetzte. Und dann, als ihre
Augen sich allmählich an das Zwielicht gewöhnten, sah sie, daß
viele andere Männer und Frauen ebenso übel zugerichtet waren
wie sie.
    Je länger Julia über ihre Lage nachdachte, desto mehr war sie
davon überzeugt, daß sie und alle anderen Menschen, die in
diesem Frachtraum saßen, ermordet werden würden.

2
    Der Besitzer des kleinen Gemischtwarenladens in Orion Lake,
rund neunzig Meilen westlich von Seattle gelegen, drehte sich
kurz um und betrachtete den Mann, der die Tür öffnete und
einen Moment lang auf der Schwelle stehenslieb, Orion Lake
lag abseits der großen Verkehrswege, und Dick Coburn kannte
jeden hier in dem zerklüfteten Bergland auf der OlympiaHalbinsel. Der Fremde war entweder ein Tourist auf der
Durchreise oder ein Sportangler aus der Stadt, der sein Glück
bei den Lachsen oder Forellen versuchen wollte, die von der
Forstverwaltung im nahe gelegenen See eingesetzt wurden. Er
trug eine Kordhose, einen irischen Wollpullover und darüber
eine kurze Lederjacke. Kein Hut bedeckte die dichten, welligen
schwarzen Haare, die an den Schläfen graumeliert waren.
Coburn sah, wie der Fremde auf die Regale und Glasvitrinen
starrte, ehe er eintrat.
    Aus alter Gewohnheit musterte Coburn den Mann eine
Zeitlang. Der Fremde war groß; zwischen seinem Kopf und dem
Türsturz war keine drei Finger breit Platz. Dem Gesicht nach zu
urteilen kein Schreibtischarbeiter, befand Colburn. Die Haut war
zu braun und wettergegerbt für einen Stubenhocker. Kinn und
Wangen könnten eine Rasur gebrauchen. Er war ein bißchen
schmal für seine Statur. Ganz unverkennbar wirkte er wie
jemand, der zuviel gesehen und dabei allerlei Strapazen und
Leid durchgestanden hatte. Er wirkte müde, nicht körperlich
erschöpft, sondern seelisch ausgelaugt, so als läge ihm nicht
mehr allzuviel am Leben. Fast so, als hätte er dem Tod bereits
ins Auge gesehen, wäre aber irgendwie noch einmal
davongekommen. Doch trotz der hageren Züge strahlten die
grün schimmernden Augen eine ruhige Heiterkeit aus, einen
gewissen Stolz.
    Colburn überspielte seine Neugier und füllte die Regale mit
Waren auf. »Kann ich Ihnen behilflich sein?« fragte er, nach
hinten gewandt.
    »Wollte mir bloß ein paar Lebensmittel besorgen«, erwiderte
der Fremde. Colburns Laden war zu klein für Einkaufswagen,
daher nahm der Mann einen Korb und hängte sich den Griff
über den Unterarm.
    »Was machen die Fische?«
»Hab' mein Glück noch nicht versucht.«
»An der Südspitze vom See gibt's 'ne gute Stelle, wo sie
    angeblich wie wild anbeißen sollen.«
»Danke, ich werd's mir merken.«
»Haben Sie schon einen Angelschein?«
»Nein, aber ich wette, daß Sie mir einen ausstellen können.«
»Wohnen Sie im Bundesstaat Washington?«
»Nein.«
Der Lebensmittelhändler holte ein Formular unter dem
    Ladentisch hervor und reichte dem Fremden einen Stift. »Füllen
Sie einfach den Antrag aus. Ich schlag' die Gebühr auf Ihre
Rechnung drauf.« Colburn, der ein feines Gehör hatte, meinte
einen leichten Akzent herauszuhören, der nach Südwesten
klang. »Die Eier sind frisch. Hier am Ort gelegt. Den Eintopf
von Shamus O'Malley gibt's im Sonderangebot. Und der
Räucherlachs und die Elchsteaks schmecken einfach
himmlisch.«
    Zum erstenmal spielte ein leichtes Lächeln um den Mund des
Fremden. »Elchsteaks und Lachs klingt gut, aber ich glaube, den
Eintopf lass' ich lieber.«
    Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis der Korb voll war und
neben der alten Messingregistrierkasse auf dem Ladentisch
stand. Statt der üblichen Lebensmitteldosen, mit denen sich die
meisten Angler eindeckten, hatte der Fremde hauptsächlich Obst
und Gemüse gekauft.
»Sie haben offenbar vor, eine Weile

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