Höllenflut
Unterstützung bekommen. Daher werden wir dich verköstigen,
dir Unterkunft gewähren und eine Arbeitsmöglichkeit
verschaffen, bis du allein zurechtkommst.«
»Um welche Arbeit handelt es sich?« fragte Ling Tai zögernd.
Wong schwieg einen Moment, dann grinste er boshaft. »Um
die hohe Kunst, Männer zufriedenzustellen.«
Darauf also lief die ganze Sache hinaus. Man hatte von
Anfang an nicht vorgehabt, sie in den Vereinigten Staaten ihrer
Wege ziehen zu lassen. Ling Tai und der Großteil ihrer
Landsleute sollten als Arbeitssklaven auf Zeit eingesetzt
werden, die man nach Belieben quälen und zu Tode schinden
konnte.
»Prostitution?« schrie Ling Tai entsetzt. »Dazu werde ich
mich niemals hergeben!«
»Ein Jammer«, versetzte Wong leidenschaftslos. »Du bist eine
attraktive Frau und hättest einen guten Preis verlangen können.«
Er erhob sich, ging um den Tisch herum und baute sich vor
ihr auf. Das höhnische Grinsen war verschwunden. Statt dessen
musterte er sie bösartig. Dann zog er einen länglichen
Gegenstand, der aussah wie eine Art steifer Gummischlauch,
aus seiner Jackentasche und drosch damit auf ihr Gesicht und
ihren Oberkörper ein. Er hörte erst auf, als ihm der Schweiß
ausbrach. Mit einer Hand packte er ihr Kinn und betrachtete ihr
zerschlagenes Gesicht. Sie stöhnte und flehte ihn an, er solle
aufhören.
»Hast du etwa deine Meinung geändert?«
»Niemals«, versetzte sie trotz aufgeplatzter Lippe und
blutendem Mund. »Eher sterbe ich.«
Da verzogen sich Wongs schmale Lippen zu einem kalten
Lächeln. Er holte aus und versetzte ihr mit dem Schlauch einen
heftigen Schlag auf die Schädelbasis. Ling Tai wurde schwarz
vor Augen.
Ihr Peiniger kehrte zu seinem Platz zurück, griff zum Telefon
und gab seine Anweisungen. »Ihr könnt die Frau abholen und
sie zu den anderen bringen, die für den Orion Lake bestimmt
sind.«
»Meinst du nicht, daß sich aus der eine Menge Profit
rausschlagen ließe?« fragte ein untersetzter Mann am anderen
Ende des Tisches.
Wong schüttelte den Kopf und blickte auf Ling Tai hinab, die
blutend am Boden lag. »Irgend etwas an der Frau gefällt mir
nicht. Wir sollten lieber auf Nummer Sicher gehen. Wir wollen
doch nicht das ganze Unternehmen gefährden und uns den Zorn
unseres werten Vorgesetzten zuziehen. Ling Tai wird sterben,
wie sie es sich gewünscht hat.«
Eine ältere Frau, die, wie sie sagte, Krankenschwester war,
tupfte Ling Tais Gesicht vorsichtig mit einem feuchten Tuch ab,
entfernte das angetrocknete Blut, griff dann zu einem kleinen
Sanitätskasten und trug ein Desinfektionsmittel auf. Als sie Ling
Tais Verletzungen versorgt hatte, kümmerte sich die alte
Schwester um einen Jungen, der wimmernd im Arm seiner
Mutter lag. Ling Tai schlug das Auge auf, das noch nicht völlig
zugeschwollen war, und unterdrückte einen jähen
Übelkeitsanfall. Trotz der quälenden Schmerzen am ganzen
Körper war sie klar bei Sinnen, und sie wußte genau, wie sie in
diese elende Situation geraten war.
Sie hieß nicht Ling Tai. Sie war in San Francisco geboren und
auf den Namen Julia Marie Lee getauft. Ihr Vater war einst als
Analyst eines Finanzinstituts in Hongkong tätig gewesen, wo er
die Tochter eines reichen chinesischen Bankiers geheiratet hatte.
Von den blaugrauen Augen einmal abgesehen, die sie hinter
braunen Kontaktlinsen versteckte, war sie eher nach ihrer Mutter
geraten, von der sie die herrlichen schwarzen Haare und die
asiatischen Züge geerbt hatte. Natürlich war sie auch keine
Lehrerin aus der Provinz Jiangsu.
Julia Marie Lee war Undercoveragentin der für internationale
Ermittlungen zuständigen Abteilung des US-amerikanischen
Immigration and Naturalization Service, kurz INS, also der
Einwanderungsbehörde. Sie hatte sich als Ling Tai ausgegeben
und einem Vertreter des Schlepperrings in Peking umgerechnet
dreißigtausend Dollar in chinesischer Währung bezahlt, damit
man sie in die USA brachte. Auf der menschenunwürdigen
Überfahrt hatte sie unschätzbare Eindrücke über das Treiben
und die Vorgehensweise des Syndikats sammeln können.
Sobald man sie an Land brachte, wollte sie sich mit dem
stellvertretenden Bezirksdirektor ihrer Dienststelle in Seattle in
Verbindung setzen, der nur auf ihren Anruf wartete und sich
bereit hielt, um sämtliche Schlepper in seinem
Zuständigkeitsbereich festzunehmen und ihre geheimen Routen
nach Nordamerika auffliegen zu lassen. Doch im Augenblick
sah sie keinerlei Fluchtmöglichkeit, und ihr
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