Höllenherz / Roman
Adrenalinpegel stieg. Eine Vampirin erkannte Blutlust auf Anhieb, und Schnäppchenjäger konnten ernstzunehmende Gegner sein, ob mit oder ohne spitze Zähne.
Sie ergatterte tatsächlich die letzte freie Lücke, und das halb im Blindflug.
Ich bin vielleicht tot, aber ich bin schnell.
Jemand hupte. Talia wandte sich zu den Scheinwerfern des Hupers und bleckte ihre Reißzähne. Da war er still.
Nachdem sie ihre Autotür verriegelt hatte, trottete sie zum Eingang von Howard’s. Die Absätze ihrer Wildlederstiefel glitschten auf dem Pflaster. Den Tag über war es beständig kälter geworden und der Regen zu tückischen schwarzen Eisflecken gefroren. Vampirin hin oder her, sie landete auf ihrem edeljeansverhüllten Hintern, wenn sie nicht aufpasste.
Im Kaufhaus Howard’s hing noch die ganze Weihnachtsdekoration; überall befanden sich Glitzergirlanden und Lichterketten. Talia liebte es und wurde von all dem Funkeln angezogen wie ein Fisch an der Angel. Ihre Familie hatte nichts von größeren Feiern gehalten – typisch Dad, der nur Arbeit kannte, sogar als Talia und ihr Bruder noch klein gewesen waren. Ein Jammer, dass sie erst hatte sterben müssen, um ein bisschen von dieser Feierlichkeit zu erleben!
Ein ungefähr vierzehnjähriger Junge rempelte sie im Vorbeigehen an. Aus ihren Gedanken gerissen, packte Talia ihn am Kragen und hob ihn hoch, bis seine Stiefel kaum noch den Boden berührten. Das war schlecht für ihre Maniküre, denn der Lack war kaum getrocknet, aber es machte solchen Spaß! Ihre Kiefer begannen zu schmerzen, juckten vor Beißlust. Das Blut des Jungen wäre sicher warm und aromatisch.
»Nicht so unverschämt!«, ermahnte sie ihn und zeigte ein klein wenig ihre Zähne.
»Sagt wer?«
»Sagen deine Alpträume. Ach, hiervon habe ich geträumt, als ich noch unterrichten musste! Und, wie bist du in Englisch?« Sie grinste breiter.
Der Junge wurde kreidebleich und wollte sich Talias zarter Hand entwinden. Nach einem Moment vergeblichen Strampelns wandelte sich der Unglaube in seinen Augen in blanke Panik. Talia ließ ihn los, wobei sie ihn gerade so sehr anstupste, dass er ein Stück schlitterte.
»Du hagere Vampirschlampe! Die pfählen dir den Arsch! Wirst schon sehen!« Er verschwand in der Menge, ehe sie ihn sich noch einmal schnappen konnte.
Dämlicher Idiot!
Talia atmete tief durch und unterdrückte den Impuls, der fliehenden Beute nachzujagen. Leider bekam sie beim Inhalieren einen Schwall warmer blutaromatisierter Luft mit ab. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Hier sind zu viele Menschen. Ich hätte nicht herkommen dürfen.
Ruhig, nur die Ruhe! Schließ die Augen, und denk an Coupons!
Talia blinzelte, richtete ihre Jacke und ihren Schal und schluckte den Speichel hinunter, der sich in ihrem Mund angesammelt hatte. Sie war erst vor drei Jahren gewandelt worden, so dass ihr Körper noch ziemlich oft die Oberhand über ihren Verstand gewann. Das machte es schwierig, sich in die Gesellschaft einzufügen.
Nein, ich hätte echt nicht herkommen sollen!
Es war purer Instinkt gewesen, und es hatte sich so gut angefühlt.
Du sollst dich doch unauffällig verhalten, nicht in die Schlagzeilen geraten, weil du eine Ratte im Einkaufszentrum zerkaut hast. Wenn jemand zu Hause dein Bild sieht, bist du endgültig total tot.
Ihr Handy spielte die ersten Takte von
Material Girl.
Wer hatte ihre Nummer? Sie angelte es aus der Handtasche. Ihre Kehle war eng vor Angst.
Wenn dich jemand findet …
Plötzlich war es zu heiß in dem Kaufhaus. Sie drehte sich um und ging auf den Ausgang zu, weil der primitive Teil ihres Gehirns befahl, dass sie floh. Sie blickte auf die Anruferkennung, ohne sie zu entziffern. Erst als sie ein zweites Mal hinsah, wurde ihr klar, dass es die Nummer ihrer Wohnung war.
Wie konnte das sein?
Wer war bei ihr zu Hause? Für einen Sekundenbruchteil erstarrte sie, dann siegte ihre Neugier.
»Hallo?«
»Hi, Süße, Überraschung!«
Ah, Gott sei Dank, es war Michelle! Vor Erleichterung wurde ihr schwindlig. »Was tust du denn zu Hause? Ich dachte, du bist noch Wochen weg!«
»Bei dir hört sich das an, als wenn ich aus dem All komme.« Michelle lachte trocken.
»Kommt einem ja auch manchmal so vor.«
Michelle war Hostess auf dem Kreuzfahrtschiff
Queen Anne
und meistens Monate weg. Da sie sich selten in Fairview aufhielt, durfte Talia bei ihr wohnen.
»Na ja, einige der Touris scheinen tatsächlich auf einer anderen Umlaufbahn unterwegs zu sein. Also, was machst du
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