Höllenknecht
Blettner hielt acht Finger in die Höhe.
«Acht Mal», wiederholte er. «Und weißt du wenigstens, wann es den Rindertopf immer gegeben hat?»
Hella senkte den Kopf, aber Heinz hatte genau gesehen, wie ihr die Röte in die Wangen geschossen war. Das hinderte ihn nicht daran weiterzusprechen. «Immer, wenn du mich im Bett abgewiesen hast, gab es einen Rindertopf. Immer, wenn du mich nicht küssen wolltest, gab es Eierpunsch. Und immer, wenn du am Samstag nicht mit mir in den Badezuber steigen wolltest, machtest du mir anschließend eine Süßspeise.»
Hella fuhr mit einem Finger die Maserung der Tischplatte nach und schwieg. Auch Heinz sagte nichts. Schließlich seufzte er, nahm seine lederne Aktenmappe und bemerkte beim Hinausgehen: «Auf die Art und Weise mag wohl kein Mann sein Lieblingsgericht. Mir wären Fischabfälle auf dem Tisch und eine liebende Frau lieber als ein Rindertopf und eine Nacht ohne Küsse.»
Damit ging er und zog die Tür nachdrücklich ins Schloss.
Hella ließ sich auf die Küchenbank sinken, rührte gedankenverloren in der Grütze, die Heinz stehengelassen hatte. Als die Magd in die Küche kam und fragend schaute, nahm Hella den Weidenkorb, der auf dem Schemel hinter derTür stand. «Ich gehe zum Markt», sagte sie und eilte aus dem Haus, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.
Zuerst ging sie zu den Fleischbänken. Strich unruhig zwischen den einzelnen Ständen umher, in Gedanken noch bei ihrem Mann. Einmal blieb sie stehen, betrachtete die blauen Ochsenzungen in der Auslage, die hellroten, mit Bläschen durchsetzten Stierlungen, die grünen Pansen, das graue Hirn und die ferkelfarbenen Kuheuter, ohne sie wirklich zu sehen. Der Metzger stand dahinter und bewegte träge die linke Hand, um die grünschillernden Fliegen zu verscheuchen. An einem Fleischerhaken hinter ihm hing ein ausgeweidetes Schaf, daneben eine Schweinehälfte. Die Augenhöhle war bis auf den Knochen ausgeschabt, eine große Fliege tummelte sich darin. Hinter dem Stand befand sich ein Abfallhaufen. Eine alte Bettlerin wühlte darin herum, brachte blutige Hahnenkämme, gekrümmte Hühnerkrallen und einen Lammschädel zum Vorschein, lud die Abfälle in einen Korb und trottete von dannen, eine dünne Blutspur hinter sich herziehend.
Am nächsten Stand wartete eine Hausfrau. In ihrem Korb türmten sich Zwiebeln. Gespannt sah sie dem Metzger zu, der sein Beil schwang. Mit einem Schlag spaltete er den gehäuteten Schafskopf vor ihm. Die Knochen knackten und kippten in zwei säuberlich getrennten Hälften nach rechts und links. Mit einem großen Löffel schabte der Metzger das Gehirn aus dem Schädel und warf es auf eine blutverschmierte Waage. Befriedigt nickte er und fragte: «Die Augen auch?»
Die Hausfrau nickte. «Aber ja. Es gibt nichts Besseres für die Suppe.»
Obwohl Hella dergleichen schon oft gesehen hatte, verursachte der Anblick der toten Leiber ihr heute Unbehagen.Der Geruch von warmem Blut und entleerten Därmen, dazu der Schweiß des Metzgers, machte, dass ihr übel wurde. Rasch ging sie von den Fleischbänken fort, vergaß sogar das Rindfleisch, das sie für das Abendessen hatte kaufen wollen. Aber das machte nichts, dachte sie, als sie es bemerkte. Wahrscheinlich würde sie ihrem Mann nie wieder einen Rinder-Zwiebel-Topf machen können, ohne sich dabei schuldig zu fühlen. Hatte er nicht überdies gesagt, er wolle in der Ratsschänke essen? Hella seufzte. Was wollte sie dann hier? Unschlüssig schlenderte sie weiter von Stand zu Stand. Hinter einem Ecktisch stand ein junges Mädchen, dem die beiden oberen Schneidezähne fehlten. Um ihr rechtes Auge schimmerte ein prächtiges Veilchen. Mit schriller Stimme pries sie ihre Ware an: Kerzen und kleine, geschnitzte Heiligenfiguren. Zwei Stände weiter stopfte ein Junge die Eingeweide eines ausgenommenen Huhns gelangweilt in dessen aufgerissenen Leib zurück und kratzte sich dann an einem haarigen Leberfleck an seinem Hals. Ein Bettler mit leeren Augenhöhlen tastete sich mit einem Stock vorwärts und bat mit quietschender Stimme um Almosen. Dabei stieß er an den mit Eiern gefüllten Weidenkorb einer Bäuerin und bekam von ihr einen Schlag mit einem Knüppel direkt auf die Schulter, sodass er seinen Stock fallen ließ und gegen einen beleibten Herrn taumelte. Eine junge Gauklerin mit langen Haaren und rotzverschmiertem Kleinkind an der bloßen Brust griff einem Gemüsehändler zwischen die Beine. «Na du», säuselte sie. «Hast du was für mich, wenn ich was
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