Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
eingestanden haben, sich alles andere als sicher
zu sein.
›Ich glaube,
es war der Angeklagte‹«, zitierte Dörner genüsslich die erste Einlassung von Ahrens
auf die Frage des Vorsitzenden.
»Ich will
Ihnen etwas sagen, mein lieber Herr Ahrens, und das können Sie sich gern für den
Rest Ihres Lebens merken. Wenn Sie zunächst von glauben sprechen, und kurz
darauf plötzlich sicher sein wollen, dann machen Sie sich als Zeuge vor Gericht
einfach unglaubwürdig. Und genau so sehe ich Ihren ganzen Auftritt hier. Unglaubwürdig.
Sie sind wegen des schweren Leids, das Ihnen zugestoßen ist, zu bedauern, aber deshalb
dürfen Sie sich nicht dazu hinreißen lassen, einen nahezu unbescholtenen Mann in
Haft nehmen lassen zu wollen. Mein Mandant kann absolut nichts dafür, dass Ihnen
dieser grausame Schicksalsschlag zugestoßen ist, denn er saß zur fraglichen Zeit
mit seinen Freunden beim Kartenspiel.«
»Herr Verteidiger«,
räusperte sich der Vorsitzende, »es wäre mir überaus recht, wenn Sie sich Ihr Plädoyer
für später aufheben würden. Im Augenblick sind wir noch mitten in der Beweisaufnahme.
Haben Sie also noch Fragen an den Zeugen?«
»Ja, eine
Frage hätte ich noch.«
»Dann bitte.«
Der Strafverteidiger
wandte sich wieder Ahrens zu.
»Stimmt
es, Herr Ahrens, dass Sie sich gegenüber einer Krankenschwester des Klinikums Kassel
in sehr klaren Worten über meinen Mandanten geäußert haben?«
Er griff
nach einem anderen Blatt Papier vor sich auf dem Tisch.
»Wörtlich
sollen Sie gesagt haben, dass Sie › eine schwerePrüfung durchmachen
müssen, aber dass kein Unrecht auf dieser Welt ungesühnt bleibt. Sie würden darauf
vertrauen, meinten Sie weiter, ›dass Männer, die so etwas Schrecklichesgetanhätten wie der Unfallverursacher, dafür hart und blutigbestraft werden
würden. Und dabei meinten Sie offenbar nicht die deutsche Gerichtsbarkeit.«
»Woher … wissen …?«
»Woher ich
das weiß? Von der Krankenschwester, der gegenüber Sie diese ungeheuerlichen Drohungen
geäußert haben. Und für den Fall, dass Sie es abstreiten sollten, habe ich die Dame
vorsorglich auf die Zeugenliste setzen lassen.«
Der Jurist
stand auf und ging langsam auf Ahrens zu.
»Also, stimmt
es oder stimmt es nicht?«
»Ich protestiere
auf das Schärfste, Herr Kollege«, mischte Dr. Schober sich ein. »Mein Mandant ist
Zeuge in diesem Verfahren, nicht Angeklagter.«
»Das weiß
ich sehr wohl, Herr Kollege, und darüber muss ich auch von Ihnen nicht belehrt werden,
aber hier geht es sowohl um die Glaubwürdigkeit des Zeugen wie auch um seine persönlichen
Rachegelüste. Und wenn es eine Motivation geben könnte, aus der heraus er meinen
Mandanten einer falschen Anschuldigung aussetzt, dann muss natürlich darüber geredet
werden.«
Beide Augenpaare
wandten sich in Richtung des Vorsitzenden, der sofort eine Entscheidung traf.
»Bitte antworten
Sie auf die Ihnen gestellte Frage, Herr Ahrens. Gab es gegenüber einer Krankenschwester
eine solche Bemerkung?«
Ahrens sah
aus, als würde er gleich zu weinen anfangen. Oder sich übergeben.
»Ja«, antwortete
er schließlich leise. »Ich habe so etwas wohl gesagt. Aber dazu muss ich klarstellen,
dass ich mich zu dieser Zeit im Krankenhaus befunden habe und dass ich seit ein
paar Stunden wusste, dass ich meine Frau und meine Tochter verloren hatte. Das müssen
Sie bitte dabei bedenken.«
Über das
Gesicht von Hubert Dörner huschte ein kurzes, kaum wahrnehmbares Lächeln.
»Ich bin
fertig mit dem Zeugen, Herr Vorsitzender.«
Zwei Stunden
später erging im Namen des Volkes ein Urteil, das für ein paar Tage zu großer Aufgeregtheit
und noch größeren Kontroversen innerhalb der Kasseler Bevölkerung führte. Maik Wesseling
wurde, weil es beim Gericht nicht unerhebliche Zweifel an seiner Schuld gab, freigesprochen.
2
Hauptkommissar Paul Lenz öffnete
mühsam sein linkes Auge und schloss es sofort wieder, weil ihn eine nach seiner
Wahrnehmung riesige Deckenlampe blendete.
»Wann geht
es denn endlich los?«, nuschelte er.
»Wann das
losgeht, was Sie meinen«, hörte er wie durch Watte die Stimme einer unsichtbaren
Frau, »kann ich Ihnen nicht sagen, aber Ihre OP ist vorbei. Und sie ist gut gelaufen,
wie die Ärzte sagen.«
Lenz streckte
den rechten Arm aus, griff mit einer unbeholfenen Bewegung an sein rechtes Bein
und tastete es bis zur Wade ab. Tatsächlich, dachte er und stellte mit großer Erleichterung
fest, dass er die Operation seines gebrochenen Sprunggelenks
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