Höllenqual: Lenz’ zehnter Fall (German Edition)
dem verhandelten
Verkehrsunfall seine Frau und sein Kind verloren hatte, er jedoch mit der ganzen
Sache nicht das Geringste zu tun habe. Wie er schon des Öfteren erklärt habe, war
ihm seine Mercedes-Limousine samt Schlüsseln am fraglichen Abend gestohlen worden,
während er mit ein paar Freunden beim Kartenspiel saß. Der Fahrer des Wagens müsse
demzufolge der Fahrzeugdieb gewesen sein. Dass dieser sich von der Unfallstelle
entfernt hatte, auch das bedaure er, jedoch könne ihm selbst daraus kein Vorwurf
gemacht werden.
Bernd Ahrens
hörte dem Vortrag mit versteinertem Gesicht zu, wobei er das Gefühl hatte, dass
der tiefere Sinn dessen, was er hörte, nicht in sein Gehirn vordringen konnte.
Danach wurden
die beiden Polizeibeamten gehört, die als Erste am Unfallort eingetroffen waren
und die aussagten, dass sich der Fahrer des den Unfall verursachenden Mercedes bei
ihrer Ankunft schon vom Unfallort entfernt hatte. Nach zwei weiteren Zeugen aus
den umliegenden Häusern, die allerdings erst etwas gesehen hatten, nachdem schon
fast eine Minute seit dem Zusammenprall vergangen war, und die demzufolge nichts
Erhellendes beisteuern konnten, betrat ein KFZ-Sachverständiger den Zeugenstand,
der erklärte, dass es für ein unbefugtes Benutzen des Mercedes keinerlei Anzeichen
gäbe und dass der Wagen zur Tatzeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
mit dem Originalschlüssel bewegt worden war.
Nach der
Mittagspause traten nacheinander fünf Männer auf, die allesamt eine bis ins Detail
gleiche Geschichte erzählten. Nämlich die, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls mit
Maik Wesseling an einem Tisch im Hinterzimmer einer Kasseler Kneipe gesessen und
gepokert hatten. Und überhaupt, so versicherten die Zeugen unisono, sei der Angeklagte
wegen seines maßlosen Alkoholkonsums am betreffenden Abend gar nicht mehr in der
Lage gewesen, ein Kraftfahrzeug zu führen. Auch auf skeptisches Nachfragen des Vorsitzenden
wie auch des Staatsanwalts blieben alle fünf bei ihrer Version.
Dann wurde
Bernd Ahrens an den Zeugentisch gebeten. Nach den obligatorischen Fragen zur Person
und dem Hinweis auf seine Wahrheitspflicht wurde er vom Vorsitzenden gebeten, seine
Erinnerungen an den Unfall vom 24. Dezember 2011 zu schildern.
»Meine Frau
Gerlinde und ich«, begann er mit dünner Stimme, »waren, zusammen mit unserer neun
Wochen alten Tochter Sarah, auf dem Weg zur Heiligen Messe. Wir befuhren die Hoffmann-von-Fallersleben-Straße,
wo von Weitem sichtbar war, dass die Ampel an der Kreuzung zur Wolfhager Straße
auf Grün stand.«
»Wer hat
das Auto in diesem Moment gesteuert?«, wollte der Vorsitzende wissen.
»Meine Frau.
Sie saß vorn auf dem Fahrersitz, ich hinten rechts. Das Baby hatten wir, wie immer,
in seiner Liegeschale auf dem Beifahrersitz angeschnallt.«
Es entstand
eine kurze Pause.
»Ja, weiter
bitte, Herr Ahrens.«
»Gerlinde
bremste bis auf die nötige Geschwindigkeit ab, näherte sich der Kreuzung und wollte
abbiegen. Genau in dem Sekundenbruchteil, in dem sie die Wolfhager Straße befahren
hatte, sah ich von links die rasend schnell näher kommenden Scheinwerfer des anderen
Wagens, der sich kurz darauf in unsere linke Seite bohrte.«
Ahrens schluckte
hörbar.
»Möchten
Sie etwas trinken, Herr Ahrens?«, fragte der Vorsitzende sanft.
»Nein, es
geht schon.«
Wieder ein
paar Sekunden Pause, bevor der kleine Mann weitersprach.
»Es ging
alles so schnell, dass ich es bis heute kaum verstehen kann, Herr Richter. Unser
Golf wurde bei dem Aufprall in zwei Teile gerissen, das vordere Stück, also der
Motor und die Vorderachse, flog und schleuderte bis zur Einfahrt der Feuerwehr.«
»Sind Sie
bei dem Unfall verletzt worden?«
»Ja. Ich
habe mir den linken Oberschenkel gebrochen und eine Gehirnerschütterung zugezogen.«
»Waren Sie
bewusstlos?«
»Es tut
mir leid, aber das kann ich Ihnen wirklich nicht sagen. Wenn, dann nur ganz kurz.«
»Was hat
sich im weiteren Verlauf abgespielt?«
»Nachdem
das Drehen aufgehört hat, gab es plötzlich eine gespenstische Ruhe. Das Einzige,
was ich gehört habe, war das leise Glucksen einer Flüssigkeit. Ich vermute, es handelte
sich dabei um irgendwelches Wasser aus unserem Kühler.«
Er machte
eine weitere Pause.
»Ganz kurze
Zeit später hörte ich eine Tür schlagen. Dann beugte sich eine Gestalt über die
Beifahrerseite, hielt eine Hand gegen die Scheibe, vermutlich, um besser etwas erkennen
zu können, und sah in den Wagen. Ich dachte, es würde sich um
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