Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten - gerettet von Navy Seals (German Edition)
geträumt hätte. Wir besuchten die National Opera in Washington, D.C., ein hochkarätiges, streng formelles Ereignis, bei dem wir viele einflussreiche Menschen kennenlernten. Es war einfach unglaublich. Dann kam der Augenblick, als wir im Oval Office saßen und Andrea mir zuflüsterte: »Wie komme ich eigentlich hierher?« Es sei wie ein verdammt schwer verdientes Ticket zu einer Fahrt auf dem Riesenrad, wie sie es einmal ausdrückte. Sie, das Mädchen aus Vermont, hatte das Gefühl, plötzlich mitten in einen riesigen Vergnügungspark gestellt worden zu sein. Sie sagte immer wieder, sie könne ein ganzes Buch darüber schreiben – »1000 Dinge, die Sie schon immer mit Richard Phillips machen wollten.«
Besonders bewegend war das Wiedersehen mit den Navy SEALs. Die Soldatenfrauen versicherten Andrea, sie hätten sehr bewundert, wie sie mit der ganzen Sache fertig geworden sei. Andrea konnte es kaum glauben: Ausgerechnet diese Frauen bewunderten sie? »Wir wissen immer, dass unsere Männer ihren Job gut machen werden«, erklärten die Frauen. »Aber Sie mussten zu Hause sitzen und sich mit dem Gedanken quälen, was wohl geschehen würde.« Aber wir wiederum staunten über ihren Mut, junge Frauen in den Zwanzigern und Dreißigern, manche waren schon Witwen. Die Frau eines Navy SEAL weiß nie, ob ihr Mann nach einem Einsatz heimkehren wird. Andrea hatte Tränen in den Augen, und ich auch.
Ständig werde ich gefragt: »Haben Sie sich durch diese Erfahrung verändert?« Ohne Zweifel ist mein Glaube stärker geworden. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Verträge mit Gott abschließen wollen – wenn Du mich hier heil herausbringst, gehe ich jeden Sonntag in die Kirche, oder so ähnliche Gelübde. Das fände ich nicht aufrichtig. Aber ich betete, stärker zu werden. Ich betete um Weisheit. Ich bat nicht um einen bestimmten Ausgang der Sache, sondern nur darum, in jeder Lebenslage möglichst gut zu handeln.
Solange ich lebe, werde ich den SEALs für ihren Einsatz dankbar sein. Und bis zum heutigen Tag kann ich bei keinem Basketballmatch unsere Nationalhymne, den »Star-Spangled Banner«, hören, ohne einen dicken Kloß im Hals zu spüren. Wenn andere Amerikaner erst einmal ihr Leben für einen riskiert haben, wird die Hymne mehr als nur ein Lied. Dann wird sie alles, was man für das eigene Land empfindet. Die Bande, die uns verbinden, sind häufig nicht zu sehen oder werden sogar gering geachtet. Ich hatte das Glück, sie auf eine Weise erfahren zu haben, wie das sonst vielleicht nur Soldaten vergönnt ist.
Aber diese Erfahrung veränderte mich nicht. Sie sorgte nur dafür, dass ich die Dinge klarer sehe, die ich schon immer vor Augen hatte. Zum Beispiel, wie wertvoll es ist, Dinge durch die Augen anderer Menschen zu sehen. In meiner Laufbahn als Kapitän habe ich meine Leute, wenn sie etwas nicht richtig gemacht hatten, nicht nur zurecht gewiesen, sondern sie auch immer gefragt, warum sie es so und nicht anders gemacht hatten . Ich war immer daran interessiert, ihre Beweggründe zu erkunden, denn das half mir, Gefahrenmomente vorauszuahnen, mit denen ich dann später konfrontiert sein könnte. Das galt besonders an Bord der Maersk Alabama . Die Besatzung und ich waren auf jede neue Krise vorbereitet, nicht nur, weil wir für solche Situationen geübt hatten, sondern weil wir immer drei Schachzüge weiter dachten als die Piraten. Ich wusste, dass sie ihre Anführer kontaktieren wollten. Ich wusste, dass sie ein Lösegeld fordern wollten, und seien es nur ein paar tausend Dollar. Und ich wusste auch, dass sie meine Männer an einer Stelle auf dem Schiff zusammentreiben wollten. Das half uns enorm.
Aber was mich letztlich am Leben hielt, war meine eigene Zähigkeit. Ich weigerte mich einfach, mich den Piraten zu unterwerfen. Über meine Siege freute mich immer dann ganz besonders, wenn ich gar nicht damit gerechnet hatte. Das war schon damals der Fall, als ich noch Basketball spielte und wusste, dass das andere Team besser war. Wenn alles dagegen spricht, wird einem der Sieg noch weiter versüßt. Man kann und muss den eigenen Verstand dazu trainieren, niemals aufzugeben.
Aber am wirkungsvollsten war für mich die Lektion, die ich auf dem Rettungsboot lernte: Wir sind stärker, als wir denken. Während der ganzen Tortur war ich oft überzeugt, schon die nächsten fünf Minuten nicht mehr durchhalten zu können. Das war vor allem bei den vorgetäuschten Hinrichtungen der Fall. Diese ultimative Angst, den eigenen Tod
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