Höllental: Psychothriller
einrasten. Es führte über die gesamte Länge der Brücke und würde sie bei einem Sturz abfangen.
Leitenbacher hatte weder einen Klettergurt noch eine Sicherungsausrüstung dabei. Ängstlich beobachtete er die Brücke. Obwohl sie aus massivem Stahl bestand und den Naturgewalten schon lange trotzte, traute er ihr nicht. Schwang sie nicht sogar ein wenig hin und her im Wind?
Und was war das dort in der Mitte?
Als er den vom Schnee zerrissenen Schemen bemerkte, ließen die beiden Amis auch schon ihre Gewehre vom Rücken gleiten und gingen in Schussposition.
Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete Leitenbacher die Brücke. Jemand kam auf sie zu. Es war nicht zu erkennen, ob es sich um Sand handelte oder um Roman Jäger.
»Nein!«, rief er laut und vernehmlich und hob die Hand. »Niemand schießt.«
Der Schemen näherte sich, blieb aber plötzlich stehen. Ein heftiger Windstoß ließ ihn straucheln.
»Jäger, sind Sie das?«, brüllte Leitenbacher.
Neben ihm entsicherten die Militärpolizisten ihre Gewehre.
»Wenn ihr schießt, bringe ich euch persönlich in den Knast«, fuhr Leitenbacher sie an.
Roman war gelaufen, so schnell er konnte. Ein paarmal war er ausgerutscht und hingefallen, hatte sich Prellungen zugezogen, war aber jedes Mal wieder aufgesprungen. Jetzt lag die Brücke vor ihm. Und Sands Blutspur führte hinüber.
Roman zögerte.
Hatte er nicht etwas gehört?
Einen Ruf?
Oder war es nur der Wind gewesen?
Er setzte den rechten Fuß auf die Brücke und packte mit beiden Händen das Geländer. Schnee und Eis bildeten daran eine messerscharfe Schicht. Auch die Metallgitter am Boden waren von Eis überzogen. Es war immens gefährlich, bei diesem Wetter über die Brücke zu gehen.
Als Roman sich vorsichtig ein Stück vorschob, hörte er es erneut.
Das war ein Schrei. Ganz eindeutig.
Für einen kurzen Moment sah er vor seinem geistigen Auge Laura Waider. Sah sie auf dem Geländer stehen, beide Hände ausgestreckt, als könne sie fliegen.
Dann war das Bild weg, und er sah einen grauen Schatten auf sich zukommen.
Roman öffnete den Verschluss der Ledertasche, die an seinem Gürtel befestigt war. Darin befand sich ein kleines Messer. Er kam nicht dazu, es zu ziehen. Mit einer schnellen Bewegung kletterte der Schatten auf das Geländer und sprang in die Höllentalklamm.
Zeitgleich zerrissen zwei Schüsse die Stille, und Roman verspürte einen heftigen Schlag gegen den Oberkörper.
Zwölf Tage später
Aussage zum Fall Laura Waider
Aktenzeichen: 122009 WS 027/3
Aufgenommen durch: OK Franz Leitenbacher
Datum: 18.12.2009
Vernommene Person:
Richard Schröder
Geboren: 04.08.1988, Augsburg
Wohnhaft: Fuggergasse 11, Augsburg
OK Leitenbacher: Herr Schröder. Bitte schildern Sie mir die Umstände des Todes von Laura Waider aus Ihrer Sicht.
R. Schröder: Soll ich im Sommer anfangen, in der Höllentalklamm?
OK Leitenbacher: Ja.
R. Schröder: Also, wir haben sie allein mit diesem Typen (Nachtrag: Robert Sand) vom Berg geschickt. Als wir sie später in der Bushaltestelle fanden, war sie vollkommen verstört, wollte aber nicht mit uns darüber sprechen, was passiert war. Ich dachte damals, sie wolle sich mit ihrem Benehmen dafür rächen, dass wir sie nicht begleitet haben.
OK Leitenbacher: Wer ist wir?
R. Schröder: Ich, Armin Zoltek und Bernd Lindeke. Mara Landau war ja in der Pension geblieben. Es ging ihr nicht so gut.
OK Leitenbacher: Bitte weiter.
R. Schröder: Zurück in Augsburg haben wir uns dann eine Zeit lang nicht gesehen. Ich war eine Woche mit meinem Vater in Hamburg unterwegs. Mara flog für einen Monat nach Frankreich zu ihren Eltern. Was Bernd und Achim gemacht haben, weiß ich nicht mehr.
Am 8. August besuchte ich Laura in ihrer Wohnung. Sie war hysterisch, völlig von der Rolle. Meinte, sie würde von dem Kerl verfolgt, der sie vom Berg begleitet hatte. Sie erzählte mir, dass der Typ schon beim Abstieg in der kleinen Kapelle oben im Höllentalanger zudringlich geworden war. Da ist sie nach ihren Worten nur knapp einer Vergewaltigung entkommen, weil sie im Handgemenge mit dem Kopf gegen eine Wand schlug und für ein paar Minuten die Besinnung verlor.
OK Leitenbacher: Aber das hat Laura Ihnen und Ihren Freunden am 25.07. nicht erzählt. Warum nicht?
R. Schröder: Das habe ich sie auch gefragt. Sie sagte, sie hätte sich geschämt, weil sie aus Wut auf uns ein bisschen mit dem Typen geflirtet hat.
OK Leitenbacher: Gut. Weiter bitte.
R. Schröder: Am 10.08. fand
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