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Höllental: Psychothriller

Höllental: Psychothriller

Titel: Höllental: Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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einen brauchte, und so wuchs seine Zuversicht. Sie einzuholen dürfte nicht schwer werden, sie davon zu überzeugen, sich heute nicht da oben rumzutreiben, schon eher. Da waren die Touristen alle gleich. Warnungen der Bergwacht zu ignorieren galt als cool und wagemutig. Später waren es dann Leute wie er und seine Kollegen, die ihren ganzen Mut in die Waagschale werfen mussten, um in Not geratene Bergsteiger zu retten.
    Wie konnte nur jemand so dumm sein, bei einem solchen Wetter kurz vor Einbruch der Dunkelheit auf den Berg zu steigen? Das war selbst für Touristen ein dreistes Verhalten. Außerdem waren jetzt in der Zwischensaison kaum welche im Ort. Am Wochenende kamen immer ein paar Bergsteiger aus der weiteren Umgebung für Tagestouren, aber heute war Dienstag, und als Roman vorhin aufgestiegen war, hatte er das Alleinsein genossen, denn viele solche ruhigen Tage gab es in einer Ferienregion nicht. Er hatte sich zu früh gefreut, wie es schien.
    Roman zog sein Tempo noch an und begann zu schwitzen. Den eisigen Wind spürte er in seiner wind-und wasserdichten Kleidung kaum. Als er an der Wegbiegung aus dem Schatten der Felswand trat, stemmte er sich gegen den Fallwind und versuchte, die Brücke weit oben über der Schlucht ausfindig zu machen. In dem zunehmend dichter werdenden Schneegestöber war sie jedoch nicht zu sehen. Also lief er weiter. Steil hinauf über Felsstufen, auf denen das Regenwasser der vergangenen Tage gefroren war, sodass sie zu tückischen Fallen wurden. Roman bewegte sich jetzt vorsichtiger, stützte sich immer öfter mit einer Hand an der Felswand ab und ergriff jede Kante, jeden Riss und jede Wurzel, um etwas Halt zu finden. Rechts ging es steil abwärts in die Klamm. Wer hier ausrutschte, hatte kein Chance. Einmal im Sturz begriffen, gab es nichts mehr, was Einhalt gebieten konnte. Es waren oft Stellen wie diese – eigentlich gut begehbare Wanderwege, die an einer Abbruchkante entlangführten –, an denen Bergwanderer verunglückten, weil sie die Gefahr unterschätzten und die Unberechenbarkeit der Natur nicht ernst genug nahmen. In den Bergen überlebte aber nur, wer Respekt und Angst nicht gänzlich verlor.
    Nach weiteren zehn Minuten tauchte aus dem Schneegestöber vor ihm das Geländer der Brücke auf. Die aus Eisen gefertigte Brücke verlief mehr als siebzig Meter über der Klamm und war Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert. Schnee blieb bei dem Sturm kaum darauf liegen, dafür hingen dünne Eiszapfen im schrägen Winkel vom Geländer herab. Die Brücke überwand eine Distanz von dreißig Metern, und Roman musste bis zum Einstieg vorgehen, um wenigstens die erste Hälfte einsehen zu können. Der Sturm pfiff und heulte und peitschte die Schneeflocken an seinem Gesicht vorbei.
    Jäh stockte ihm der Atem.
    In der Mitte des Bauwerks balancierte eine schmale Person in violetter Jacke und Bluejeans auf der untersten Sprosse des Geländers. Sie hatte die Arme zu den Seiten ausgebreitet und schien sich auf den Sprung vorzubereiten, blickte aber nicht in die weit unten verlaufende Klamm, sondern hatte das Gesicht dem Himmel zugewandt.
    Romans Gedanken rasten.
    Er hatte nicht viele Möglichkeiten. Wenn er sich bemerkbar machte, würde sie wahrscheinlich sofort springen. Wer ganz allein hier heraufkam, um sich das Leben zu nehmen, der meinte es ernst, der wartete nicht auf einen Retter in allerletzter Sekunde. Also musste er schnell sein. Und leise. Beim Laufen würden seine schweren Schritte die Gitter zum Klappern bringen und die Person warnen.
    Roman schlich voran, behielt die Person auf dem Geländer dabei im Auge und wunderte sich, wie sie sich bei dem Sturm überhaupt so lange halten konnte.
    Er hatte es fast geschafft, war keine drei Meter mehr von ihr entfernt, als sie ihn bemerkte und den Kopf herumriss.
    Der Wind zerrte die Kapuze beiseite. Rötliches Haar umflatterte ein schmales Gesicht. Es war eine Frau. Augen und Mund weit aufgerissen starrte sie ihn an. Deutlich konnte er über diese kurze Distanz Angst und Panik in ihren Augen erkennen. Trotzdem reagierte sie schnell, packte mit beiden Händen das Geländer, hob den rechten Fuß, setzte ihn auf die oberste Strebe und ließ los. Eine einzige fließende Bewegung voller Entschlossenheit. Sofort drückte der Wind sie nach vorn.
    »Nein!«, schrie Roman und hechtete vor.
    In seiner Wahrnehmung stark verlangsamt sah er, wie die Frau über das hüfthohe Geländer kippte. Roman sprang, streckte die Arme aus, packte zu und erwischte

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