Höllental: Psychothriller
der Klamm. Das Scheinwerferlicht strahlte sie von hinten an und warf ihre Schatten auf die steile graue Wand, die jenseits des Beckens aufragte. Links außen hockte auf Knien Anton Schäffler, der Chef der Bergrettung. Er schoss mit einer Digitalkamera Fotos, außerdem würde er die Bergung der Leiche mit der Videofunktion festhalten. Sobald das Blitzlicht der Kamera aufleuchtete, verschwanden die Schatten der Männer, und der winkende Arm wurde für den Bruchteil einer Sekunde zum Mittelpunkt der Umgebung.
Neben Anton stand Dr. Tobias Schollerer, ihr Bereitschaftsarzt. Er trat von einem Bein aufs andere, rieb sich immer wieder die Hände, schien die Kälte damit aber auch nicht vertreiben zu können. Roman hatte Tobias selbst angerufen und wusste daher, dass er ihn quasi aus dem Bett geholt hatte. Tobias hatte eine 24-Stunden-Schicht im Krankenhaus hinter sich und war wenig begeistert gewesen, in dieser Nacht noch einmal rauszumüssen, aber er war als Einziger verfügbar gewesen.
Ein paar Schritte entfernt wartete Oberkommissar Leitenbacher rauchend auf die Bergung der Leiche. Roman hatte schon mit ihm gesprochen, sozusagen eine erste Aussage gemacht und war dabei das Gefühl nicht losgeworden, dass der Kommissar ihm nicht glaubte – zumindest nicht den Teil, in dem die Frau sich seinem Griff entwunden hatte, um in den Tod stürzen zu können.
Leitenbacher hielt es nicht für notwendig, Verstärkung aus seinen eigenen Reihen anzufordern, denn glasklarer konnte ein Selbstmord kaum sein. Was gibt es da noch zu ermitteln?, waren seine lapidaren Worte gewesen. Roman mochte den fünfundfünfzigjährigen untersetzten Mann nicht besonders. Er benahm sich oft überheblich und war nicht nur nach Romans Meinung ein fauler Hund, der zu viel trank und auf seine Pensionierung wartete.
Roman schob sich zwischen Anton und Tobias. Sein Chef hörte mit dem Fotografieren auf und kam aus der Hocke hoch.
»Die beiden sind jetzt so weit«, sagte Roman.
»Und sie hat wirklich nichts gesagt?«, fragte Tobias Schollerer.
Er hatte erneut seine Brille abgenommen und rieb auf den Gläsern herum. Die Umgebungskälte, die Luftfeuchtigkeit und die Hitze der Scheinwerfer ließen sie dauernd beschlagen. Ohne Brille wirkte er noch jünger, und man war kaum gewillt, ihm seinen Doktortitel abzukaufen.
Roman schüttelte den Kopf. »Kein Wort.«
Rechts von ihnen schob sich Hans Dachner auf das Becken zu.
Anton nahm sein Funkgerät an die Wange. »Alles klar da oben?«, fragte er.
»Von hier kommt nichts«, antwortete eine schwer verständliche Stimme. Sie gehörte ihrem Kollegen Richard Stangl, der sich mehr als fünfzehn Meter oberhalb des Beckens an einer Abbruchkante befand. Von dieser günstigen Position aus beobachtete er mit einem Nachtsichtgerät den Flusslauf, was in der Dunkelheit und bei dem Schneefall schwierig war. Er sollte rechtzeitig warnen, falls Treibholz angespült wurde. Für die beiden Jungs im Wasser war das gefährlich, denn es würde mit hoher Geschwindigkeit über die Kante schießen und ins Becken stürzen. Zwar lag der letzte Sturm zwei Wochen zurück, sodass kein neues Holz in die Klamm geweht worden war, trotzdem konnte sich jederzeit ein verkeilter Stamm irgendwo losreißen und seine Schussfahrt fortsetzen.
»Alles klar, ihr könnt!«, rief Anton den Kollegen in den Taucheranzügen zu.
Er musste gegen den Lärm der Generatoren, des Windes und des tosenden Wassers anbrüllen und hob zusätzlich einen aufrechten Daumen in die Luft.
Hans erwiderte das Zeichen, nickte und marschierte los. Georg sicherte ihn zunächst vom Ufer aus.
»Haben Ihre Jungs auch Masken dabei?«, fragte Leitenbacher, der näher gekommen war.
Roman sah auf den kleinen Mann hinab. Er trug eine dick gepolsterte Daunenjacke, in der er noch kleiner und runder wirkte als ohnehin schon. Die braune Strickmütze hatte er tief in die Stirn gezogen. »Wofür?«
Leitenbacher zuckte mit den Schultern und zog an seiner Zigarette. Sie war feucht und glomm kaum noch. »Wenn sie keine Papiere in den Taschen hat, müssen wir den Grund absuchen.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei«, sagte Roman. »Von uns macht das niemand, dafür ist das Wasser viel zu kalt. Sie können dankbar sein, dass wir den Leichnam für Sie bergen.«
Leitenbacher sah ihn von unten herauf an. Er hatte einen starren, unangenehmen Blick. In seinen buschigen Augenbrauen verfingen sich Schneeflocken. »Warum machen Sie es nicht? Sie haben sie schließlich fallen lassen …
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