Höllental: Psychothriller
Tod festzustellen war überflüssig.
Von hinten schob sich Leitenbacher zwischen sie.
»Wollen Sie sie beatmen?«, fuhr er den Arzt an, hockte sich ebenfalls hin und durchsuchte die Taschen der zerfetzten Jacke. »Na toll!«, raunzte er. »Keine Ausweispapiere. Sie muss es der Nachwelt natürlich besonders schwer machen.«
»Dann viel Spaß beim Tauchen, Leitenbacher«, sagte Roman und sah den Oberkommissar an.
»Sie können mich mal, Jäger«, konterte der, erhob sich und verschwand wortlos in der Nacht.
Die anderen sahen ihm kopfschüttelnd nach, während Roman sich überwand und doch wieder die Leiche betrachtete.
Wie alt mochte sie sein? H öchstens fünfundzwanzig. Was konnte einer so jungen Frau zugestoßen sein, dass der Tod die einzige Möglichkeit war? Und warum hatte sie ihn ausgerechnet hier gesucht, in der Höllentalklamm?
Schneller hatte Mara Landau sich nie geduscht und umgezogen. Zehn Minuten nachdem sie Lauras SMS gelesen hatte, verließ sie das Fitness-Studio. Ihre Wohnung lag nicht weit entfernt, sie hätte zu Fuß hinübergehen können, warf aber stattdessen die Tasche mit der verschwitzten Sportkleidung auf den Rücksitz, klemmte sich hinters Steuer und fuhr los. Eigentlich hatte sie heute Abend nirgendwo mehr hingewollt, doch Lauras SMS hatte sie alarmiert.
Hinauf!
Mara verstand nicht, was ihre beste Freundin ihr damit sagen wollte. Seit einiger Zeit verstand sie sie ohnehin kaum noch.
Sie musste unbedingt mit Laura sprechen. So konnte es einfach nicht weitergehen. Laura hatte sich nicht nur von ihrer Clique zurückgezogen, sondern auch von ihr, und das tat weh. Dass sie nach dieser Sache damals nichts mehr mit Ricky, Bernd und Martin zu tun haben wollte, konnte Mara ja noch verstehen. Die Jungs hatten sich als rücksichtslose Egoisten erwiesen. Aber warum zog Laura sich auch von ihr zurück? Warum dieses konsequente Schweigen, dieses beinahe schon beleidigende Versteckspiel?
Und warum jetzt plötzlich diese verwirrende SMS , nachdem Laura wochenlang nichts von sich hatte hören lassen?
Mara verstand die Welt nicht mehr, und sie hätte Grund genug gehabt, sich von ihrer Freundin zu distanzieren. Aber so ein Mensch war sie nicht. Ihr lag etwas an Laura. Das zwischen ihnen, das war immer etwas ganz Besonderes gewesen. Von fast schon geschwisterlicher Liebe zu sprechen war sicher nicht übertrieben. Obwohl sie sich nach dem letzten Vorstoß am Nachmittag bereits vorgenommen hatte, sich eine Weile still zu verhalten, vielleicht sogar die Beleidigte zu spielen, würde sie es jetzt doch noch einmal versuchen. Immerhin hatte Laura den Anfang gemacht. Die SMS war vielleicht ein verschlüsselter Hilferuf. Vielleicht glaubte Laura, dass Mara die Botschaft verstehen würde – aber leider war dem nicht so.
Der Verkehr in der Stadt war um diese Zeit sehr dicht. Jetzt, Anfang Dezember, wenn es schon früh dunkel wurde, fuhren die Leute vorsichtiger, gerade an Tagen wie diesem, wenn es regnete. Dadurch kam es an fast allen Kreuzungen zu Verzögerungen. Die Sicht war schlecht. Feiner Nieselregen zog durch das Licht der Straßenlaternen. Die Temperatur lag bei kühlen vier Grad. Mara hasste dieses Wetter. Ihr Vater hatte immer gesagt, es sei weder Fisch noch Fleisch. Kein Herbst, aber auch kein Winter. Mara liebte Schnee und die klare, kalte Luft in den Bergen. Wann immer es ihr möglich war, stieg sie auf, auch wenn es nur für eine Tagestour war.
Nach zwanzig Minuten erreichte sie die Straße, in der sich in einem exklusiven Mietshaus Lauras Wohnung befand. In der Nähe gab es keinen Parkplatz, also musste Mara einen kurzen Fußweg in Kauf nehmen. Sie kramte die dünne Regenjacke vom Rücksitz, zog sie an und lief los. Schon nach wenigen Schritten fror sie. Ein heißer Tee und eine warme Decke, das wäre jetzt das Richtige . Stattdessen lief sie bei Dunkelheit durch dieses beschissene Wetter und holte sich eine Erkältung. Was tat man nicht alles für eine Freundschaft.
Vor dem Eingang befand sich ein verglaster Windschutz. Dort zog Mara die Kapuze vom Kopf und drückte auf die Klingel neben dem Namen ihrer Freundin. Sie drückte viermal, aber auch nach entsprechender Wartezeit tat sich nichts.
Die Enttäuschung war groß.
Mara nahm ihr Handy und wählte Laura an. Sie ließ es klingeln. Dabei begann sie immer stärker zu frieren. Bald zitterte sie. Laura nahm nicht ab. Wie schon unzählige Male zuvor.
Mara tippte mit klammen Fingern eine kurze SMS . Sie fragte, was das Wort Hinauf! zu
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