Höllenzeit
die gesamte Verwaltung der Kirche waren ins Zwielicht geraten, und Ignatius war immer froh gewesen, so weit ab zu sein. Wie es aussah, konnte er das jetzt vergessen, aber noch fehlte ihm der Beweis. Er zwang sich zu einem Lächeln und fragte: »Bin ich denn für die hohen Herren in Rom so wichtig, daß man sich um mich kümmert und sogar einen der Repräsentanten des Systems in die Einsamkeit der Berge schickt?«
Bentini schüttelte den Kopf. »Das sehen Sie falsch, Bruder. Ich bin nicht das System, ich bin in gewisser Hinsicht ein Repräsentant wie Sie, aber das System ist etwas anderes, über das wir hier nicht reden sollten. Mein Freund und ich gehen den eigenen Weg. Wir sind Forscher, wir sind Sucher, wir sind eigentlich alles, was man sich so vorstellen kann, wenn es darum geht, die gerechte Sache zu verteidigen und sie auszubauen.«
»Die gerechte Sache«, murmelte Ignatius. Er wiegte den Kopf. »Was ist denn heute schon gerecht und was nicht?«
»Bitte keine haarspaltende Philosophie, Bruder. Ich weiß selbst, daß vieles nicht in Ordnung ist, aber das wird nicht unser Problem sein. Es geht um die beiden Grunddinge.«
»Die wären?«
Der Monsignore lächelte. »Ich bitte Sie, Bruder, was war denn schon zu Beginn der Zeiten vorhanden? Die Schlange und der Mensch. Gut und Böse also.«
»Der Urkampf.«
»Sehr richtig.«
Ignatius spürte, daß er unruhig wurde. Er ging davon aus, daß der Monsignore innerhalb der Hierarchie nicht eben zu den kleinen Lichtern gehörte. Daß er geschickt worden war, hatte etwas zu bedeuten, und Ignatius dachte daran, daß irgendwo Kräfte dabei waren, gewisse Dinge zu verändern, die der Vatikan nicht gutheißen konnte.
»Er war doch immer da.«
Bentini nickte. »Das stimmt. Er wird auch immer bleiben.« Er hob die Arme und deutete eine Waage an, indem er die Hände einmal nach oben und dann wieder nach unten bewegte. »Leider befinden wir uns dabei in einem indifferenten Gleichgewicht, einmal neigte sich die Waage zur rechten, dann wieder zur linken Seite. Die eine ist gut, die andere böse. Ich habe den Eindruck, und da stimmen auch andere mit mir überein, daß sie dabei ist, sich zur falschen Seite zu neigen. Die Zeiten sind nicht gut. In dieser Welt hat es gewaltige Umstürze gegeben, die Machtblöcke wurden auseinandergerissen. Völker sind verunsichert und suchen nach einer neuen Identität, besonders gravierend ist es auf dem Balkan. Es gibt keine Werteordnung mehr, Chaos und Feindbilder herrschen vor, und dieser Nährboden ist natürlich ideal für ihn, wobei Sie wissen, wen ich meine.«
»Ja, Satanas!«
»Sehr richtig«, flüsterte Bentini. »Der Teufel, Asmodis, wie auch immer man ihn nennen soll. Er ist derjenige, der seine Fühler ausgestreckt hat, sie in die Wunden legt und darin herumrührt. Dieses Wesen kann lachen, es kann sich freuen, es lebt vom Chaos, von der Anarchie, denn es träumt nach wie vor von einer Rückkehr oder von dem endgültigen Sieg, der ihm zu Beginn der Zeiten verbaut wurde. Er hat seine Macht verstärkt und tastet sich immer näher auch an Menschen heran, die ihm sonst nicht eben positiv gegenüberstanden. Das haben wir gesehen, aber das wollen wir nicht akzeptieren.«
»Verstehe.«
»Nein, Bruder, noch nicht. Ich habe einfach zu allgemein gesprochen, um Ihnen die Lage darzulegen. Jeder wird jetzt gebraucht, und vor allen Dingen auch Sie. Wir müssen uns verstärken…«
Ignatius hob die Hand.
»Soweit habe ich es begriffen, von wem bitte sprechen Sie?«
Bentini ließ sich einen Moment Zeit. Er verengte die Augen, bevor er leise die Antwort gab. »Von der Weißen Macht rede ich.«
Father Ignatius schluckte. Er sagte nichts, doch er wußte Bescheid, auch wenn er bisher noch keinen direkten Kontakt mit der Weißen Macht gehabt hatte.
»Sie sagen nichts, Bruder?«
Ignatius runzelte die Stirn. »Nun, was soll ich darauf denn antworten? Ich kenne die Weiße Macht natürlich. Ich habe von ihr gehört und möchte sie als den Geheimdienst des Vatikans bezeichnen. Habe ich damit unrecht?«
»Im Prinzip nicht.«
»Dann sind wir schon weiter.«
»Moment noch. Es stimmt, daß der Vatikan uns unterstützt, aber wir sind ansonsten selbständig, und zu uns gehören nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Wir haben die engen, elitären Grenzen durchbrochen, wir sind multikulturell, wir haben nur eines nicht – eine Presse. Weder eine positive noch eine negative. Diese Presse existiert nicht. Wir können darauf gut und gern verzichten.
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