Höllenzeit
Der Wind heulte wie ein schwerverletztes Tier, und der Regen war in Schnee übergegangen. In dicken, matschigen Flocken fiel er aus den tiefhängenden Wolken, um das Land mit seinem weißen Leichentuch zu bedecken. Die einsame Gestalt beugte sich tief in den Schatten der Tür, um wenigstens vor den schlimmsten Böen geschützt zu sein. Dennoch zerrte der Wind an der Mönchskutte, er blies durch den Stoff und fuhr mit seinen eisigen Fingern über die Haut.
Father Ignatius drehte sich um, als er den Motor hörte. Nur ein schwaches Geräusch, das wie zufällig an seine Ohren drang, dann wendete der Fahrer den Wagen, fuhr einen Bogen und lenkte das Auto auf den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Der Mönch sah noch das Leuchten der Rücklichter, und ihm kam eine ungewöhnliche Assoziation in den Sinn. Die roten Heckleuchten verglich er mit seinem Leben, das bisher immer normal gestrahlt hatte, von nun an aber in anderen Bahnen verlaufen würde, weil der Tunnel einer ungewissen Zukunft es schluckte wie die Finsternis des Abends die Rücklichter des abfahrenden Autos.
Er war allein. Nur das Heulen des Windes umgab ihn. Der Sturm war plötzlich über das Land gekommen, ein Vorbote des Wetterumschwungs, eine der letzten Anstrengungen eines Winters, der nur zu ungern weichen wollte.
Das Eingangstor des Klosters lag in einer Nische. In sie hatte sich Father Ignatius tief hineingedrückt, und weil es so finster war und er wegen des Windes kein Streichholz anreißen konnte, suchte er mit seiner Handfläche nach der Klingel und drückte sie.
Der Einsame glaubte, tief im Innern des Klosters eine Glocke zu hören, vielleicht war auch nur der Wunsch der Vater des Gedankens. Er hoffte nur, so bald wie möglich von dieser knochenklappernden Kälte befreit zu werden. Noch tat sich nichts, und der Besucher ärgerte sich. Seine Kutte war am Rücken feucht geworden. Regen und Schnee hatten auch die Haut in seinem Gesicht genäßt. Er wischte mit den Fingern darüber hinweg, dann mit dem Ärmel der Kutte, der die Feuchtigkeit aufsaugte.
Sein Gefühl bestand aus einer Mischung aus Spannung und Furcht.
Spannung deshalb, weil ihn eine neue, gewaltige Aufgabe erwartete, und Furcht, weil er nicht wußte, ob er dieser Aufgabe gewachsen war. Der Ruf war von ›ganz oben‹ gekommen. Da der Father ein gehorsamer Diener seiner Kirche war, hatte er ihm nicht widerstehen können. Er hatte deshalb seinen alten Freunden und Brüdern goodbye gesagt, aber auch seinem Londoner Freund John Sinclair Bescheid gegeben und ihm noch ein großes Paket mit geweihten Silberkugeln geschickt, denn Father Ignatius war es, der die Kugeln herstellte. Es konnte durchaus sein, daß er in Zukunft häufiger mit dem Geisterjäger zusammentraf, denn die neue Aufgabe sollte sich nicht allein auf die Theorie beschränken.
Noch hörte er nichts. Bis auf ein leises Kratzen in Augenhöhe. Als er zwinkernd hinschaute und dabei Wasser aus den Augen rieb, sah er einen Teil eines Gesichts, das ihn durch die Öffnung her anstarrte.
Zwei Augen waren hinter einer Nickelbrille zu sehen, doch der Mund war nicht auszumachen, und so hatte Ignatius den Eindruck, als würde die Stimme aus einer großen Tiefe erschallen, die echohaft laut an seine Ohren drang.
»Sie sind Father Ignatius?«
»Ja, Ehrwürdige Schwester.« Er mußte sich ein Lächeln verkneifen, als er an die Stimme dachte, denn es war kaum zu fassen, daß sie einer Frau gehörte.
»Einen Moment bitte.«
Etwas bewegte sich knarrend in Schloßhöhe. Ein Schlüssel mußte zweimal gedreht werden. Dann bewegte sich die Tür, und das Knarren kam Ignatius beinahe so laut vor wie das Heulen des Windes.
Kaum war die Tür weit genug aufgezogen, als der Mönch rasch die Schwelle überschritt, sich dabei noch duckte, als könnte er den mit Schnee vermischten Windböen entwischen.
»Ein Schweinewetter«, klagte die Reibeisenstimme. Hastig wurde die Tür hinter ihm zugedrückt.
Father Ignatius war stehengeblieben. Er schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser gekommen war.
Dann klopfte er seine Kutte ab, aber die Feuchtigkeit blieb in ihr, und sie hing auch weiterhin wie ein nasser Lappen an ihm.
Die Halle des Nonnenklosters war sehr spartanisch eingerichtet. Ein langer Tisch, nur wenige Stühle, zwei Lampen in Eisengestellen hingen von der Decke. Der Steinfußboden schimmerte Schwarz bis Rot, und einige Türen, die zu den anderen Räumen und Gängen des Klosters hin abzweigten, unter anderem auch zum Büro der
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