Hoellischer Verrat
weiblicher. Wenn sie Abendkleider trug, sah sie aus, als wäre sie bereits darin geboren worden. Zusammen mit den raffiniert frisierten Haaren und dem sorgfältig zusammengestellten Geschmeide war ihr Äußeres so perfekt, wie es sich für eine Blutdämonin gehörte.
» Nikka, darf ich dir unseren Gast vorstellen? Das ist Tarsos, der Sohn eines Geschäftspartners deines Vaters.«
»Freut mich.« Ich streckte ihm meine Hand hin und er schüttelte sie.
»Freut mich auch«, sagte er und sah mich nicht einmal richtig an. Entweder gefiel ich ihm überhaupt nicht oder er wollte nicht unhöflich sein und mich vor den Augen meiner Eltern einer so intensiven Musterung unterziehen. Eigentlich war ich gut darin, in der Mimik und den Gesten meines Gegenübers zu lesen. Ich betrachtete Tarsos, seine Haltung, seinen Gesichtsausdruck und sah … nichts. Es schien fast, als hätte er unsichtbare Schutzwälle, die jeden persönlichen Zug von ihm abschirmten. Selbst sein Tonfall klang so neutral, dass ich nichts daraus entnehmen konnte.
Ein Hausdiener zog mir höflich den Stuhl zurück und ich nahm Platz. Auch die Herren der Tafel, Vater, Tarsos, Ikanto und mein Bruder Jaro, die sich höflich erhoben hatten, als ich den Raum betrat, setzten sich wieder.
»Wie schön, dass du es doch noch einrichten konntest, Nikka. Dann können wir endlich anfangen.« Ungeduldig gab Vater einem Diener ein Handzeichen und dieser eilte aus dem Zimmer. Dann sah er zu mir herüber und ich fühlte deutlich, dass seine schlechte Laune nicht wirklich etwas mit meinem Zuspätkommen zu tun hatte. Diesen Zug um den Mund kannte ich bei ihm nur, wenn er hungrig war. Ich musste bei seinem Anblick lächeln. Trotzdem zwang ich mich zu einer Entschuldigung. Obwohl ich keine Lust auf dieses Abendessen hatte, war es unhöflich von mir gewesen, die anderen warten zu lassen.
»Es tut mir leid. Ich …«
»Schon gut.« Er winkte ab. »Jetzt bist du ja da.«
Auch wenn er fast nie lächelte, wirkte sein Gesichtsausdruck nun viel freundlicher. Genau wie alle anderen am Tisch war auch er formell gekleidet. Dunkelbrauner Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Seine Haut war ebenmäßig und hell und stellte zusammen mit den schwarzen Haaren ein Erkennungsmerkmal der Blutdämonen dar. Unsere Haare waren alle schwarz, einzig der Schimmer, der tief in ihnen verborgen lag, brachte ein wenig Variation hinein. Vater hatte Jaro und mir den grünen Glanz im Haar vererbt. Meine Mutter, in deren Haarpracht es rotschwarz schimmerte, wenn das Licht darauf fiel, hatte diesen Effekt an Mayra weitergegeben. Die Haare von Mayras Ehemann Ikanto schimmerten silbrig. Eine äußerst seltene Variante, die mir auch für mich gut gefallen hätte.
»Was hast du mit deinem Kleid angestellt, Schwesterlein?« Mayra, die mir gegenübersaß, gab sich keine Mühe, ihre Belustigung zu unterdrücken. »Hast du es mit deinem Auto überfahren, bevor du hineingeschlüpft bist?«
Da ich die Spitzen meiner Schwester bereits gewohnt war, machte ich mir nicht die Mühe, zu antworten. Ich schenkte ihr einen Blick, der deutlich sagte, was ich von ihren Fragen hielt. Mayra schnaufte und auch ihr Ehemann warf mir einen strafenden Blick über den Tisch zu. Die beiden waren sich immer einig. In allen Dingen, egal, worum es ging. Würde es nicht so gekünstelt wirken, wäre es fast unerträglich.
Überhaupt wirkten sie wie eine jüngere Kopie meiner Eltern. Mayra, als Mutter und Hausfrau, repräsentierte den Haushalt ihres Mannes ebenso perfekt wie meine Mutter. Mittlerweile frisierten sie sich sogar schon die Haare ähnlich. Nicht zu übersehen war auch die Ähnlichkeit Ikantos mit Vater. Sie trugen den gleichen gestutzten Vollbart, besaßen die gleichen gerade verlaufenden Augenbrauen über dunklen Augen und glichen sich in ihrer Statur wie ein Ei dem anderen. Mutter und Mayra verstanden sich ohne Worte, Vater und Ikanto arbeiteten jeden Tag zusammen. Mit meiner Vermutung, dass sie beharrlich versuchten, aus mir Kopie Nummer zwei zu machen, lag ich wohl nicht allzu falsch.
»Vielleicht ist der Knitterlook im Moment total angesagt und du hast es nur nicht mitbekommen, weil du praktisch nie das Haus verlässt.« Jaro, der links neben Mayra saß, grinste sie frech an. »Oder, liebstes Schwesterlein?«
Obwohl er mittlerweile auch für Vater arbeitete, hatte er es irgendwie geschafft, sich nicht verbiegen zu lassen. Am auffälligsten war, dass er immer noch seine »schrecklich unseriöse« Frisur besaß, über die
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