Hoellischer Verrat
erzählen. Ich saß eingezwängt zwischen all den Redenden und starrte ins Nichts. Irgendwann spürte ich, wie Tarsos mich musterte. Mutter fing seinen Blick mit Wohlwollen auf, doch dann wandte er sich einfach wieder meinem Vater zu.
Als die Diener die Platten abräumten, war der offizielle Teil des Essens beendet. Sobald es die Höflichkeit erlaubte, erhob ich mich und spazierte hinaus auf die Terrasse. Dort war es angenehm kühl und ruhig. Ein sanfter Wind fuhr in den langen Rock meines Abendkleids und bauschte ihn auf. In solchen Momenten konnte man vergessen, dass die Erde zu einem feindlichen Lebensraum mit giftigem Regen, schweren Stürmen und Überschwemmungen geworden war. Der Mond stand tief und seine Krater waren als feine blaugraue Linien gut erkennbar. Ich ging über die vom Regen in Mitleidenschaft gezogenen Bodenplatten bis zum Rand der Terrasse. Sie war rechts und links mit einer gut eineinhalb Meter hohen Mauer umgeben, da das Gelände danach steil abfiel. Ich seufzte laut, weil ich mich unbeobachtet fühlte, und stützte mich mit den Ellenbogen auf der kalten Steinbrüstung ab.
»So unglücklich?«, fragte plötzlich eine dunkle Stimme hinter mir. Überrascht drehte ich den Kopf. Es war Tarsos. Er lächelte nicht, er schien nicht einmal besonders neugierig. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass mein Puls sich beschleunigte. Wie konnte das nur sein? Er hatte mich kaum beachtet, war fast unhöflich gewesen und nun machte mein Herz einen kleinen Sprung, weil er mir offensichtlich auf die Terrasse gefolgt war. Wie hatte er mich wortlos so beeindrucken können?
Ich drehte den Kopf wieder zurück, weil ich wollte , dass er näher kam . Es funktionierte. Als er sich neben mich an die Brüstung lehnte, überragte er mich um fast eine Kopflänge. Er drehte sein Gesicht zu mir und ich sah die stumme Aufforderung darin. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man seine Fragen nicht umgehend beantwortete. Ich ließ ihn zappeln, weil ich keine seiner Angestellten war. Tarsos verzog keine Miene, doch in seinen harten grünen Augen, die selbst im Dämmerlicht des Mondes ungewöhnlich leuchteten, blitzte etwas auf. Wieder konnte ich es nicht deuten. Fakt war jedoch, auch er konnte sich in seinem Anzug und mit den sorgfältig frisierten Haaren nur als kultiviertes Wesen verkleiden. Seine Augen verrieten das Raubtier, das wir alle waren und so gern für immer verbannt hätten. Ich hielt seinem Blick stand, bis ich mir sicher war, dass er verstanden hatte, dass ich von ihm keine Befehle annehmen würde. Dann imitierte ich seine herablassende Art , zu sprechen.
»Das war eine sehr indiskrete Frage, darauf muss ich nicht antworten.«
Tarsos’ Miene blieb ausdruckslos, dann beugte er sich zu mir herüber. Er griff nach meinem linken Träger, der ein Stück die Schulter hinabgerutscht war , und schob ihn an seinen Platz zurück. Sein Verhalten war unverschämt, wir kannten uns schließlich gar nicht. Und doch ließ ich ihn gewähren. Ich spürte seine Finger an meiner Haut, seine Berührung, die fast wie ein Streicheln anmutete, diese vertrauliche Geste, die provozierend und verwirrend zugleich war …
Im nächsten Moment war er weg. Ich hörte noch seine Schritte hinter mir und konnte nicht glauben, dass er mich einfach stehen gelassen hatte.
Ich wartete eine Weile, ehe auch ich die Terrasse wieder verließ, denn ich wollte es nicht so aussehen lassen, als ob ich ihm womöglich nachgelaufen wäre. Sollte er doch denken, was er wollte . Mich schüchterte er nicht ein. Und jemand, der sich nur für seine Arbeit interessierte, schien wohl auch nicht bereit, sich auf eine Partnerschaft einzulassen.
Ich fragte mich ernsthaft, warum meine Eltern ihn ausgewählt hatten, beziehungsweise, welche Kriterien er erfüllte, die ihn zu einem guten potenziellen Ehemann für mich machten. Sein Verhalten grenzte schon fast an Unfreundlichkeit und ich hoffte, dass er uns bald wieder verlassen würde. Im Esszimmer hakte sich meine Mutter scheinbar freundschaftlich bei mir unter, doch die Härte ihres Griffs ließ mich nichts Gutes ahnen. Sie führte mich aus dem Raum in die Eingangshalle und funkelte mich dann böse an.
»Jetzt reiß dich bitte zusammen, Nikka«, zischte sie. »Was ist bloß los mit dir?«
»Gar nichts«, brummte ich.
»Du benimmst dich unmöglich, isst kaum etwas, beteiligst dich nicht an den Tischgesprächen und ziehst ein beleidigtes Gesicht. Haben wir dir etwas getan? Geht es dir vielleicht einfach
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