Hoher Einsatz (German Edition)
später klingelte es erneut.
Dumme Kuh
, schalt sie sich.
Der Anrufer wollte sie offenbar dringend erreichen und durch ihre Ablehnung hatte sie ihm jetzt auch noch mitgeteilt, dass sie wach war. Vielleicht hätte er irgendwann aufgegeben …
Sie blickte auf das Telefon hinunter wie auf ein Tier, das jeden Moment die Krallen ausfahren und sie anfallen konnte.
Wer sollte sie schon um zwei Uhr nachts mit unterdrückter Nummer anrufen?
Julia spürte, wie Kälte in ihr hochstieg und sie ein Schaudern erfasste. Ihre Angst überfiel sie ohne Vorwarnung.
Es könnte ein Mann am anderen Ende der Leitung sein. Vielleicht einer der Ärzte aus dem Krankenhaus. Aber warum sollte der sich bei ihr melden? Um diese Uhrzeit?
Vielleicht war ihren Eltern oder ihrer Schwester etwas zugestoßen? Absurd! Wenn jemand sie hätte benachrichtigen wollen, hätte er seine Nummer ganz sicher nicht unterdrückt. Möglicherweise einfach nur jemand, der sich verwählt hatte? Zum wiederholten Male? Vielleicht hatte jemand einem Date die falsche Nummer gegeben und ausgerechnet ihre dabei erwischt …
Schalte das Telefon aus! Schalte es aus, aus,
AUS
!
Und wenn es nun einfach nur die Polizei war? Oder der Staatsanwalt? Er war der einzige Mann in den letzten achtundvierzig Stunden gewesen, dessen Anwesenheit ihr nicht sofort eine Panikattacke beschert hatte. Hatte er nicht gesagt, sie würden versuchen, ein Geständnis zu bekommen, um ihr damit die Gegenüberstellung am Montagmorgen zu ersparen?
Deshalb würde er nicht um zwei Uhr nachts anrufen! Oder vielleicht doch? Die Beamten waren überraschend verständnisvoll gewesen, hatten sie weder zu hart, noch zu weich angepackt und hatten ihr geheucheltes Mitleid erspart. Sie mussten wissen, dass ihr die Vorstellung, ihrem Peiniger erneut gegenübertreten zu müssen, Todesängste bereitete. Umso früher sie diese Gegenüberstellung absagten, desto besser für sie.
Aber die rufen jetzt nicht an … Die liegen im Bett … Mitten in der Nacht haben die dem Kerl bestimmt kein Geständnis entlockt.
Die Melodie verstummte und erklang erneut.
Ihre Hand hielt das Telefon derart fest umklammert, dass das Plastik des Gehäuses knirschte. Julia zählte die Sekunden. Sie wusste ungefähr, wie lange es klingelte, bis der Anruf auf die Mailbox umgeleitet wurde.
Wenn ich dieses Mal nicht rangehe, mache ich das verdammte Ding einfach aus.
Drei, zwei, eins …
Sie drückte auf »Annehmen«. »Ja?« Beim Klang ihrer eigenen Stimme wäre sie beinahe zusammengezuckt.
»Julia?«, fragte eine Männerstimme am anderen Ende.
Sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich ausgetrocknet an.
Julia kannte die Stimme, auch wenn sie über die Telefonverbindung seltsam verzerrt klang.
»Ich weiß, dass du da bist, Julia. Zu Hause. In deinem Schlafzimmer. In deinem Bett.«
Sie saß vollkommen erstarrt da. Eine Stimme in ihrem Kopf brüllte sie an, sofort aufzulegen und das Gespräch zu beenden. Doch sie konnte sich nicht rühren.
»Du hast in ein paar Stunden einen Termin bei den Bullen. Ich rate dir, deine dämliche Klappe zu halten, Schätzchen.«
Er
war es.
Julia wollte etwas sagen, doch kein Laut drang über ihre Lippen.
»Ich werde dich in Ruhe lassen. Aber auch nur, wenn du deine Fresse hältst. Kannst du das, Julia, deine Fresse halten?«
Oh Gott, oh Gott, oh Gott!
Ihr Herz raste und schien trotzdem nach jedem Schlag kurz auszusetzen. Sie musste etwas sagen, irgendetwas. »Woher haben Sie meine Nummer?«
»Ich habe dich etwas gefragt, Schlampe! Kannst du deine Fresse halten?«
Sie zitterte so stark, dass ihre Zähne hörbar aufeinanderschlugen. »Ja. Ich denke schon.«
»Gut. Tust du mir dann bitte noch einen kleinen Gefallen?«
Julia antwortete nicht.
»Komm zum Fenster.«
»Was?«
»Du sollst ans Fenster gehen!«
Julia starrte auf das dunkle Viereck ihres Schlafzimmerfensters. »Wieso?«
»Tu es einfach, Miststück!«
Sie gehorchte und fühlte sich dabei wie ferngesteuert.
»Ah, da bist du ja. Sieh her! Runter auf die Straße! Unter der Laterne?«
Sie tat wie geheißen.
»Siehst du mich?«
Julia sah ihn. Eine große, dunkle Gestalt mit blonden Strähnen im Haar, das Handy am Ohr. Sie glaubte, das böse Grinsen sehen zu können, das seine Stimme transportierte.
»Meine linke Hand«, sagte er.
Ihre Augen folgten seiner Aufforderung. Er spielte mit etwas. Mit etwas Glänzendem, Metallischem, das das Licht der Laterne bei jeder kreisenden Bewegung reflektierte und aufblitzen ließ.
Ein
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