Hoher Einsatz (German Edition)
das?«
»Sie haben versucht zu fliehen, und somit besteht Fluchtgefahr. Außerdem haben Sie mich und Frau Leitner angegriffen, und bei so was bin ich verdammt nachtragend.«
»Mein Anwalt wird mich rausholen.«
»Das kann er gerne versuchen. Ich nehme an, dass Sie mir damit sagen wollen, dass Sie nicht mehr auf einen Anwalt verzichten?«
»Genau so ist es.«
»Kluge Entscheidung.«
Sonntag
Das Wasser schoss heiß und dampfend aus dem Duschkopf. Anfangs hatte die Hitze noch auf ihrer Haut geschmerzt, doch inzwischen spürte Julia sie nicht mehr. Ebenso wenig wie die raue Oberfläche des Luffa-Schwammes, mit dem sie sich abschrubbte, wieder und wieder.
Auch zwischen ihren Beinen waren die Schmerzen verklungen, alles war taub, wunderbar taub. Das Wasser färbte sich rosa, als es sich mit dem Blut der frisch geöffneten Wunden vermischte. Der Anblick verschaffte ihr ein merkwürdiges Gefühl der Befriedigung. Zum Teufel mit den Ärzten, die sie gewarnt hatten, sich ein paar Tage lang nur vorsichtig zu waschen!
Die Hitze verging irgendwann zu lauer Wärme, die schließlich unangenehmer Kühle und anschließend beißender Kälte wich. Trotzdem blieb sie so lange unter der Dusche, bis ihr schwindelig wurde und sie so stark zitterte, dass sie den Schwamm kaum noch halten konnte.
Julia stieg aus der Kabine und schlang sich ein Handtuch um die Schultern. Das ganze Bad war feucht, feiner Nebel schwebte in der Luft, und das Wasser lief von den beschlagenen Fliesen. Selbst das Handtuch fühlte sich triefend nass an.
Vorm Waschbecken zögerte sie, bevor sie mit der Hand die Feuchtigkeit vom Spiegel wischte. Julia war froh, dass sie nur ein verschwommenes Bild von ihrem bleichen Gesicht mit den verquollenen grünen Augen erhaschen konnte. Die dunkelblonden Haare klebten asymmetrisch an ihrem Kopf. Auf der kahl rasierten Stelle, die sich über ihren Scheitel zog, thronte die genähte Platzwunde.
Zum wiederholten Mal erwischte sie sich bei dem Gedanken, sich die Überreste ihrer einstigen Haarpracht abzurasieren und sich ein paar Perücken zuzulegen. Doch wozu die Mühe? Sie wollte ihre Wohnung nie wieder verlassen, da brauchte sie sich um ihr Aussehen nicht mehr zu kümmern. Julia wollte sich nie wieder um ihr Aussehen kümmern müssen.
Angewidert von ihrem Anblick wandte sie sich vom Spiegel ab und verließ das Bad. Sie zitterte noch immer, als sie im Schlafzimmer ihren Pyjama anzog und ins Bett kroch.
Dort lag sie dann. Wach. Aufgewühlt. Ihr Gehirn schien sich gegen die Wirkung der Medikamente aufzubäumen, während sie dort in der Stille lag und die bedrohlichen Wellen ihrer Erinnerung von neuem aufzuwogen begannen.
Julia drehte sich von einer Seite auf die andere. Sie wollte schlafen. Die Pillen sollten ihr dabei helfen. Tiefer, traumloser Schlaf bis zum nächsten Morgen oder, noch besser, bis zum Mittag. Sie sehnte sich nach der schweigenden Dunkelheit, in die sie die Beruhigungsspritze der Sanitäter vor zwei Nächten versetzt hatte. Doch die Tabletten wirkten nicht.
Julia wälzte sich noch eine Viertelstunde im Bett, bevor sie entschied, die Vorgaben zur Einnahme nur als Empfehlung zu sehen, die sie bei Bedarf anpassen konnte. Sie nahm eine zweite Schlaftablette, tigerte weitere zwanzig Minuten durch ihre Wohnung, bis ihr erneut schwindelig wurde, und kehrte dann ins Bett zurück.
Endlich schlief sie ein. Die Brandung ihrer Erinnerung war nur noch ein entferntes Murmeln.
Der trügerische Frieden war allerdings nicht von Dauer. Eine vertraute Melodie erklang, um ihr etwas mitzuteilen, was sie nicht hören wollte. Sie rief Julia, verstummte für einen kurzen Moment und ertönte erneut. Irgendwann schaffte sie es, weit genug in Julias Bewusstsein zu dringen, um sie in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen zu versetzen.
Benommen tastete die junge Frau nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe. Zumindest war sie wach genug, um zu erkennen, dass es ihr Handy war, das nun schon zum wiederholten Mal klingelte.
Mit Mühe richtete sie sich auf und nahm das Smartphone vom Nachttisch. Eigentlich hatte sie es ausschalten wollen, hatte sich dann aber doch dagegen entschieden. Sie hatte keinen Festnetzanschluss, und es war einfacher, eingehende Anrufe zu ignorieren, als im Notfall erst einmal darauf warten zu müssen, dass das Handy bootete.
Unbekannter Anrufer. Es wurde keine Nummer angezeigt.
Julia tippte sofort auf »Ablehnen«, ohne nachzudenken, hielt das Telefon aber weiter in der Hand. Wenige Sekunden
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