Hoher Einsatz (German Edition)
kurzen Blick zu. »Bleib auf Abstand.« Der Staatsanwalt hatte sie bereits am Abend zuvor in die Klinik begleitet, und sie hatte seine Intervention schweigend akzeptiert. Auch wenn er gerne in die Rolle ihres abwesenden Partners schlüpfte, gab es doch Grenzen, die er einhalten sollte.
Die Kommissarin legte die letzten Meter zurück, lauschte kurz und klopfte dann an die Tür.
Erst nach dem zweiten Klopfen erfolgte eine Reaktion. Der Trailer schwankte leicht unter den Schritten im Inneren, dann wurde die Tür geöffnet. Im Türrahmen erschien ein Mann, auf den Julia Ahrens’ Beschreibung zutraf. Groß, muskulös, braun gebrannt, die hellen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er trug Jogginghose und – der Dezemberkälte zum Trotz – ein Muskelshirt, und er roch nach Alkohol.
Auf den unerwarteten Besuch war er nicht gut zu sprechen. »Falsche Adresse!«, fauchte er die beiden Beamten an. Er wollte die Tür schon wieder zuziehen, doch Jennifer hielt sie auf, wenn auch nur mit Mühe. Der Kerl hatte Kraft.
»Wir sind hier genau richtig«, erwiderte sie kühl. »Wir müssen mit Ihnen reden, Herr Olbrich.«
Er starrte die Kommissarin und den Staatsanwalt sekundenlang an, dann stieß er die Tür so kraftvoll auf, dass sie laut gegen die Wand des Wohnwagens schlug, nachdem sie nur wenige Zentimeter an Jennifers Nase vorbeigesaust war.
»Scheiße, Bullen!« Er machte ein ekelerregendes Geräusch in seiner Kehle und spuckte aus, so dass der Schleimbrocken Jennifers Schuhe nur knapp verfehlte.
»Das haben Sie sehr gut erkannt.« Gewöhnlich hätte Jennifer vorgeschlagen, nach drinnen zu gehen. Aber zum einen verschwendete Olbrich wohl keinen Gedanken an seine Nachbarn, zum anderen wollte sie lieber nicht herausfinden, woher der sauer-faulige Geruch kam, der aus dem Wohnwagen nach draußen drang. »Ich bitte Sie höflich, uns zu begleiten.«
»Und wieso?«, fragte er, noch immer angriffslustig. »Wenn ich
höflich
fragen darf?«
»Es geht um einen Vorfall gestern Abend«, informierte Oliver Grohmann sachlich. »Wir würden Ihnen dazu gerne ein paar Fragen stellen.«
Andreas Olbrich blinzelte. Für den Bruchteil einer Sekunde wich die offene Feindseligkeit in seinen Augen dem Ausdruck kalter Berechnung. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust. »Ich habe nichts getan.«
»Das sollten Sie uns in aller Ruhe auf dem Revier erzählen«, sagte Jennifer.
Er war noch immer verstimmt, doch er hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle. »Wie Sie meinen. Ich hole meine Jacke.« Olbrich drehte sich um.
Jennifer bemerkte noch, wie sich sein Körper anspannte, dann schnellte er bereits herum und verpasste ihr einen Schulterstoß. Sie strauchelte und wäre mit Sicherheit gestürzt, wenn der Typ sie nicht geradewegs gegen Grohmann geschubst hätte, was Olbrich allerdings nur einen geringen Vorsprung verschaffte.
Er mochte verkatert sein, trotzdem war er verdammt schnell. Noch bevor Jennifer die Verfolgung aufnehmen konnte, war Olbrich über den Kiesweg gerannt und auf der anderen Seite über einen niedrigen Gartenzaun gesprungen. Mit einem Fluch auf den Lippen sprintete sie hinterher.
Die Hütten und Wohnwagen standen dicht beieinander, doch hier und da gab es enge Durchgänge und kleine Gärten. Olbrich kannte sich mit diesen Schlupflöchern offensichtlich bestens aus, denn er durchlief den Hindernisparcours ohne jedes Zögern.
Jennifer konnte kaum mit ihm mithalten. Erst als er mehrere Querwege später auf einem Schotterweg blieb, konnte sie einige Meter gutmachen. Doch ihre Kondition begann, sie im Stich zu lassen. Wäre an der nächsten Kreuzung nicht unverhofft Oliver Grohmann aufgetaucht und hätte Olbrich nicht den Bruchteil einer Sekunde gezögert, wäre er wahrscheinlich entkommen. So konnte sie aber die letzte Distanz zu ihm überwinden und ihn an seinem Muskelshirt zu fassen kriegen.
Olbrich bremste abrupt und versuchte einen Haken zu schlagen, wobei er die Kommissarin mit sich herumriss. Gemeinsam gingen sie zu Boden. Der Aufprall war schmerzhaft, was Olbrich aber nicht davon abhielt, sich nach Kräften gegen Jennifer zu wehren. Trotzdem gewann sie den kurzen Kampf, der ihnen beiden ein paar Kratzer einbrachte, wenngleich nur mit Mühe. Es gelang ihr, ihn niederzuringen und ihm Handschellen anzulegen.
Ihr Atem malte weiße Wolken in die kühle Winterluft, als sie von ihm herunterstieg. Nach Luft ringend und mit beiden Händen auf den brennenden Oberschenkeln abgestützt, teilte sie ihm seine Festnahme
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