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Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1

Titel: Hohlbein Wolfgang - Die Chronik der Unsterblichen 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Am Abgrund
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überladenen Ort durfte er seinen Sinnen nicht trauen - vielleicht gaukelte ihm sein Gedächtnis etwas vor, was nicht da war.
Er durchsuchte das Haus, schnell, aber gründlich. Der Eindruck, den er schon von weitem gehabt hatte, bestätigte sich: Die Bewohner dieses Hauses waren keine armen Leute, und es mußten andere sein als die, die er hier als Hausbewohner in Erinnerung hatte. In der Truhe der Hausfrau befanden sich zwei Kleider - was bedeutete, daß sie drei besaß, wenn sie nicht nackt auf die Straße gegangen war. Und ihr Mann, der wohl das Tischlerhandwerk ausgeübt haben mochte, verfügte über eine wohlsortierte Werkstatt. Wenn er die Möbel, mit denen das Haus ausgestattet war, selbst gebaut hatte, dann war er in seinem Beruf ein Meister gewesen.
Delãny schüttelte ärgerlich den Kopf, als ihm klar wurde, daß er mehr und mehr in der Vergangenheitsform von diesen Leuten zu denken begann. Noch hatte er keinen Beweis dafür, daß sie tot waren, ja, daß ihnen überhaupt etwas zugestoßen war.
Er verließ das Haus, untersuchte auch noch das benachbarte und stieg schließlich wieder in den Sattel. Es hatte keinen Sinn, Stunden damit zuzubringen, das ganze Dorf zu durchkämmen; er würde zu keiner anderen Erkenntnis gelangen als zu der, die er schon besaß: Es war niemand da. Die einzige Spur von Leben, auf die er gestoßen war, war eine halb verhungerte Katze gewesen, die ihn aus den Schatten heraus angemaunzt hatte, vielleicht in der irrigen Hoffnung, einen Leckerbissen von ihm zu ergattern.
Er mußte in die Bauernburg, um sich dort nach Möglichkeit Klarheit über den Verbleib der Dorfbewohner zu verschaffen.
Sein Pferd in Richtung der Holzbrücke zu lenken, die zu der auf der Felsinsel gelegenen Bauernburg inmitten des ruhigen Flußarms hinüberführte, verlangte ihm noch mehr Überwindung ab, als es ihn gekostet hatte, in den Ort zu reiten. Er hatte Angst davor, auch hier niemanden zu finden. Andererseits - wenn sich die Dorfbewohner vor irgendeiner Gefahr hatten in Sicherheit bringen wollen, dann ganz gewiß hier. Er hoffte, seinen Sohn Marius im Kreise seiner Verwandten wohlbehütet vorzufinden, aber irgend etwas in ihm fürchtete sich davor, daß diese Hoffnung in jähes Entsetzen umschlagen könnte, wenn er weiter ritt und auf eine grausige Wahrheit stieß, die vielleicht besser unentdeckt blieb.
Delãny sah an sich herab. Er war auf die landesübliche Art gekleidet: Sandalen und Kniestrümpfe, ein Untergewand und darüber einen Überwurf aus Leinenstoff mit Schlüsselloch-Ausschnitt, der von einer einfachen Fibel zusammengehalten wurde, und ein einfaches Haarband, das seine wilde Mähne bändigte. Die Schärpe, die er trug, hatte er vor vielen Jahren auf einem Markt erstanden Raqi hatte viele Talente gehabt, aber das Schneidern hatte nicht dazu gehört -, und sie verdeckte ganz bewußt den Waffengurt, den er zusammen mit dem Schwert von Michail geerbt hatte. Nein, er war nicht auffällig gekleidet und konnte bei einigem guten Willen als der Bewohner eines der etwas weiter entfernten Nachbardörfer durchgehen. Zudem hatte er sich in den letzten Jahren so stark verändert, daß ihn selbst der alte Barak wohl nicht mehr erkannte hätte: auch dann nicht, wenn er ihm direkt gegenüber gestanden hätte.
Das war ihm wichtig, denn es war ihm durchaus klar, daß er auch nach all den Jahren hier immer noch nicht willkommen geheißen werden würde, wenn man ihn erkannte. Er galt nach wie vor als Kirchenschänder und Dieb und mußte sich vorsehen, daß er nicht unversehens zur Zielscheibe einer Hetzjagd wurde, bei der er durchaus zu Tode kommen konnte: Die Menschen in Transsilvanien waren nicht gerade als zimperlich bekannt, wenn es darum ging, Ketzern oder vermeintlichen Langfingern den Garaus zu machen.
Und in ihren Augen war er eine Mischung aus beidem.
Je näher er der Brücke kam, desto unruhiger wurde er. Die Wand aus Stille, die Borsã umgab, setzte sich auch hier fort. Sie schien sogar noch massiver geworden zu sein. Es schien Andrej fast, als müsse er gegen einen körperlichen Widerstand ankämpfen. Selbst das Pferd ging im unnatürlich langsamen Schrittempo über die Brücke - vielleicht spürte das Tier ja etwas, was er noch nicht wahrnehmen konnte. Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihm aus, fast so etwas wie eine Vorahnung, daß er nur Fremde auf der Bauernburg vorfinden würde. Falls überhaupt jemanden - denn noch nicht einmal das stand ja fest.
Er erreichte die Insel und kurz darauf das

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