Hohle Köpfe
richtete sich wieder auf. Er nahm den größten Splitter des
Spiegels aus der Rasierschale und setzte ihn auf den schwarzen Arm-
brustbolzen, der jetzt in der Wand steckte.
Er rasierte sich auch die letzten Bartstoppeln ab.
Dann läutete er nach dem Diener. Willikins erschien wie aus dem
Nichts. »Herr?«
Mumm spülte das Rasiermesser ab. »Bitte sag dem Jungen, daß er zum
Glaser laufen soll.«
Der Blick des Dieners huschte kurz zum Fenster und zu den Resten
des Spiegels. »Ja, Herr. Soll ich die Rechnung wieder der Assassinengilde
schicken, Herr?«
»Zusammen mit meinen besten Grüßen. Und wenn der Junge schon
mal unterwegs ist… kann er auch dem Laden im Fünf-und-Sieben-Hof
einen Besuch abstatten und mir einen neuen Rasierspiegel besorgen. Der
Zwerg dort kennt meine Vorlieben.«
»Ja, Herr. Und ich hole sofort Kehrschaufel und Bürste, Herr. Soll ich
ihre Ladyschaft von dem jüngsten Zwischenfall unterrichten, Herr?«
»Nein. Sie meint immer, es sei meine Schuld. Angeblich ermutige ich
die Gilde.«
»Sehr wohl, Herr«, sagte Willikins.
Er verschwand.
Sam Mumm trocknete sich das Gesicht ab, ging nach unten ins Früh-
stückszimmer, öffnete dort die Vitrine und entnahm ihr die neue Arm-
brust, die er von Sybil als Hochzeitsgeschenk erhalten hatte. Mumm war
an die alten Armbrüste der alten Wache gewöhnt gewesen, die immer
dann nach hinten losgingen, wenn man es am wenigsten erwartete. Die-
ses Exemplar stammte von Burlich und Starkimarm: ein Prachtstück
nach Maß, aus erlesenem Nußbaumholz. Es gab nichts Besseres.
Mumm nahm außerdem eine dünne Zigarre und schlenderte nach
draußen in den Garten.
Im Drachenstal herrschte ziemliche Unruhe. Mumm trat ein, schloß
die Tür hinter sich und lehnte die Armbrust dagegen.
Das Quieken und Heulen wurde noch lauter. Kleine Flammen züngel-
ten über die dicken Wände der Brutpferche.
Mumm beugte sich zum nächsten Pferch vor, hob einen erst vor kur-
zer Zeit geschlüpften Drachen und kitzelte ihn unter dem Hals. Er wur-
de mit einer Flamme belohnt, an der er die Zigarre anzündete.
Er blies einen Rauchring zu der Gestalt, die von der Decke herabhing.
»Guten Morgen«, sagte er.
Der Fremde wand sich verzweifelt hin und her. Er hatte ein erstaunli-
ches Maß an Reaktionsschnelligkeit und Agilität bewiesen, als er während
des Fal s den einen Fuß hinter einen Balken gehakt hatte. Al erdings
konnte er sich nicht wieder nach oben ziehen, und aus verständlichen
Gründen fand er kaum Gefal en an der Vorstel ung, den Sturz in die
Tiefe fortzusetzen. Unter ihm hüpften zwölf Drachenkinder aufgeregt
umher und spien Feuer.
»Äh… guten Morgen«, erwiderte die Gestalt.
»Das Wetter ist schön geworden«, meinte Mumm und nahm einen Ei-
mer mit Kohle. »Aber später kommt bestimmt wieder Nebel auf.«
Er nahm einen Kohleklumpen und warf ihn den Drachen zu, die gierig
danach schnappten.
Mumm nahm einen weiteren Klumpen. Die Flamme des Drachens, der
den ersten verschlungen hatte, wurde bereits größer und länger.
»Ich kann dich vermutlich nicht dazu bewegen, mich herunterzulassen,
oder?« fragte der junge Mann unter der Decke.
Ein anderer Drache verschluckte einen Kohlebrocken und rülpste eine
Feuerkugel. Die Gestalt schwang zur Seite, um ihr auszuweichen.
»Da hast du völlig recht«, sagte Mumm.
»Wenn ich jetzt so darüber nachdenke… Es war dumm von mir, mich
fürs Dach zu entscheiden.«
»Ja«, bestätigte Mumm. Vor einigen Wochen hatte er mehrere Stunden
damit verbracht, Balken anzusägen und die Schindeln sorgfältig auszuba-
lancieren.
»Ich hätte von der Mauer springen und durchs Gebüsch kriechen sol-
len«, sagte der Assassine.
»Viel eicht«, räumte Mumm ein. Im Gebüsch hatte er eine Bärenfal e
bereitgelegt.
Er nahm noch etwas mehr Kohle. »Du wil st mir wahrscheinlich nicht
verraten, wer dich beauftragt hat, oder?«
»Tut mir leid. Du kennst die Regeln.«
Mumm nickte ernst. »In der letzten Woche haben wir Lady Selachi s
Sohn zum Patrizier gebracht. Der Bursche muß erst noch lernen, daß
›nein‹ nicht ›ja, bitte‹ bedeutet.«
»Könnte durchaus sein.«
»Und dann die Sache mit Lord Rusts Sohn. Es gehört sich nicht, Be-
dienstete umzubringen, nur weil sie die Schuhe falsch herum aufstel en.
Das schafft zuviel Unruhe. Er muß wie wir al e lernen, zwischen rechts
und links zu unterscheiden. Und zwischen richtig und falsch.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung.«
»Offenbar
Weitere Kostenlose Bücher