Holly und der Playboy-Prinz
dass niemand Notiz von ihr nehmen würde.
Die meisten Menschen schenkten ihr keinerlei Beachtung, warum sollten sie auch? Sie war die unsichtbare Frau. Sie war die Hand, die den Champagner nachfüllte, oder die Augen, die einen leeren Teller erspähten. Sie war das saubere Zimmer oder der zusätzliche Stuhl. Aber sie war keine Person.
„Hier.“ Eine kräftige Hand drängte in ihr Sichtfeld und reichte ihr ein Taschentuch. „Schnäuzen.“
Ein verlegener Laut entrang sich Hollys Kehle. Sie hob den Kopf. Ihr Blick traf auf düstere und nachdenkliche Augen, dunkel wie der Nachthimmel im Winter.
Dann passierte etwas Seltsames.
Die Zeit schien stillzustehen.
Die Tränen versiegten. Ihr Herzschlag setzte aus.
Es war, als bildeten ihr Körper und ihr Geist nicht länger eine Einheit. Einen winzigen Moment vergaß sie, dass sie sich gerade wahrscheinlich sehr lächerlich machte. Sie vergaß Eddie und sein blondes Flittchen. Sie vergaß sogar die anderen Gäste.
Das Einzige, was jetzt noch in ihrer Welt existierte, war dieser Mann.
Sein Blick wanderte zu ihrem Mund. Und die Bedeutung dieser Geste entfachte in ihrem Körper eine heiß lodernde Flamme. Ihre Lippen begannen zu prickeln, und ihr Herzschlag setzte endlich wieder ein.
„Euer Hoheit.“ Musste sie jetzt eigentlich einen Knicks machen? Sein unverschämt gutes Aussehen hatte sie das gesamte Protokoll vergessen lassen. Was sollte sie nur tun?
Die Ungerechtigkeit der Situation empfand sie wie einen Schlag ins Gesicht. Das einzige Mal, dass sie tatsächlich nicht beachtet werden wollte, wurde sie prompt bemerkt!
Von Prinz Casper von Santallia.
Erschrocken schaute sie auf das Taschentuch in ihrer Hand. Damit war klar, er wusste über ihren Zustand Bescheid. Verstecken war unmöglich.
„Atmen“, befahl er mit sanfter Stimme. „Ganz langsam.“
Erst jetzt fiel ihr auf, dass er sich direkt vor sie gestellt hatte. Mit seinen breiten Schultern schirmte er sie gegen die Blicke der übrigen Gäste ab. Niemand konnte ihre Tränen sehen.
Das Problem war nur, dass sie gar nicht mehr wusste, weswegen sie überhaupt weinte. Ein knisternder Blick aus diesen dunklen Augen reichte, um alle Gedanken auszulöschen.
Peinlich berührt, allerdings gleichzeitig auch glücklich, einen Moment geschenkt zu bekommen, in dem sie sich sammeln konnte, nahm Holly das Taschentuch und schnäuzte, wie befohlen, die Nase. Dann jedoch wurde ihr klar, dass sie sich gerade ein neues Problem eingehandelt hatte.
Er würde sich über sie beschweren. Und wer könnte ihm das verdenken? Sie hätte mehr lächeln sollen. Sie hätte aufmerksamer sein sollen, als die gelangweilt dreinschauende Blondine neben ihm gefragt hatte, ob der Ziegenkäse auf einem Biohof hergestellt wurde.
Er würde dafür sorgen, dass Sylvia sie feuerte.
„Vielen Dank, Euer Hoheit“, murmelte sie und steckte das Tüchlein in die Tasche. „Es geht mir gut. Bitte, kein Mitleid.“
„Mitleid ist sowieso nicht meine Sache.“ Seine Augen funkelten spöttisch. „Es sei denn, es handelt sich um Sex aus Mitleid.“
Holly war zu sehr damit beschäftigt, die Tränen zurückzuhalten, um sich über seinen Kommentar zu entrüsten. Sie tat einen weiteren tiefen Atemzug. Doch diesmal vermochte die weiße Bluse dem Druck nicht standzuhalten. Zwei Knöpfe sprangen auf. Mit einem ungläubigen Laut auf den Lippen erstarrte Holly. Als hätte sie sich vor dem Prinzen nicht schon genug in Verlegenheit gebracht, würde sie ihm gleich auch noch ihren Spitzen-BH präsentieren! Was jetzt? Sollte sie riskieren, seine Aufmerksamkeit überhaupt erst auf das Malheur zu lenken, wenn sie die Knöpfe wieder schloss? Oder hoffen, er habe es nicht bemerkt?
„Ich werde mich über Sie beschweren müssen“, fuhr er fort. Hollys Knie wurden weich.
„Ja, Euer Hoheit.“
„Eine sexy Kellnerin in hauchzarten schwarzen Strümpfen und Spitzenunterwäsche wirkt äußerst ablenkend.“ Er ließ seinen Blick zu ihrem Dekolleté wandern. „Sie machen es mir unmöglich, mich auf die langweilige Blondine zu konzentrieren.“
Gewappnet auf eine gänzlich andere Anschuldigung, lachte Holly erstickt auf. „Soll das ein Scherz sein?“
„Über Fantasien scherze ich nie“, erwiderte er. „Vor allem nicht über erotische.“
Er hielt seine Tischnachbarin für langweilig?
„Sie haben erotische Fantasien?“
„Können Sie mir das verübeln?“ Der bewundernde Ausdruck in seinen Augen stand in so krassem Widerspruch zu ihrer eigenen Wahrnehmung,
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