Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
war er mit einer Geschwindigkeit von etwa achtzig Stundenkilometern unterwegs, dies hatte der dritte und letzte Fahrer angegeben, und die Bremsspuren bestätigten seine Aussage. Profis fuhren an dieser Stelle hundertvierzig bis hundertfünfzig Stundenkilometer.
Die Geschichte bekam in der lokalen Zeitung einen größeren Hintergrundbericht. Zuerst fürchtete er die negative Presse, aber als ihm im Dorf die Ersten auf die Schultern klopften, las er endlich den Zeitungsbericht und fühlte sich anschließend ein wenig als Held.
Gemäß dem Journalisten war es ihm und seinem schnellen Handeln – und dem des zufällig anwesenden Arztes – zu verdanken, dass zwar nicht das Unfallopfer, aber doch andere Menschen gerettet werden konnten.
Er stand vor der Pinnwand im Flur, heftete den zweiseitigen Artikel an und lauschte dem Röhren der Formel-3-Wagen, die über die Rennbahn donnerten. „Bist ein hübscher Junge gewesen“, murmelte er und überflog den Artikel noch einmal.
„Junger Amerikaner, knapp zwanzig Jahre alt, gesund und sportlich … Preisausschreiben gewonnen … eine Woche Erlebnisurlaub in Frankreich … Motorradrennen oder Tauchen … Unfall, sofort hirntot … trotz sofortiger Rettungsmaßnahmen keine Chance … Polizeibericht spricht von Selbstverschulden … Lob für Clément Roussel von der Rennbahnorganisation … professionelles Rettungsteam in der Nähe … Amerikaner war Organspender … lebenswichtige Organe für drei Patienten …“
Er schluckte, die Sache war schon tragisch. „Verrückter Kerl, so viele Zufälle, und jetzt bist du tot, hättest dich besser fürs Tauchen entscheiden sollen.“ Er warf einen letzten Blick auf das Bild des jungen Amerikaners und ging wieder in sein Büro.
Doch es spielte keine Rolle, wofür sich der Amerikaner entschieden hätte, er wäre so oder so gestorben.
Langfristige Ziele
Li Deng war ein alter Haudegen. Sein wahres Alter kannte er nicht, er wusste nur, dass er im Winter geboren war, vermutlich um das Jahr 1930 herum. Seine Eltern waren Nomaden, das hatten ihm zumindest die Mönche erzählt, die ihn aufzogen.
Als Jugendlicher war er über sein Schicksal verbittert gewesen. Nachdem er sich mit der Geschichte Chinas auseinandergesetzt hatte, war die Verbitterung jedoch gewichen. Er hatte verstanden, dass seine Eltern ihm die bestmögliche Chance zum Überleben verschafft hatten, indem sie ihn weggaben.
Als junger Mann war er Mao Zedong nach Peking gefolgt und hatte es geschafft, sich über alle Irrungen und Wirrungen hinweg in wichtigen Funktionen des chinesischen Staatsapparates zu halten. Geholfen hatte ihm dabei vor allem, dass er keinerlei persönliche Machtansprüche stellte.
Mit seinen nunmehr über achtzig Jahren verfügte er über eine robuste Gesundheit und einen hellwachen Geist. Seine strategische Kompetenz war allgemein respektiert und anerkannt. Seine aktuelle Aufgabe war – Europa. Sie alle hatten ihre Hausaufgaben in den letzten Jahren gemacht, nun war es an der Zeit, den Mann zu finden, der Europa an China binden sollte.
Zwei von fünf Kandidaten, die in die engere Wahl gekommen waren, hatte er schon abgelehnt. Nun erwartete er den offiziellen Bericht zum dritten, der sein persönlicher Favorit war. Es klopfte an der Tür und einer seiner Assistenten führte eine Frau mittleren Alters herein, die Psychologin Mai Song. Sie machte einen sehr nervösen Eindruck.
„Setzen Sie sich doch, meine liebe Mai.“ Deng sprach alle Personen, die jünger als er und in der Hierarchie weit unter ihm standen, grundsätzlich nur mit Vornamen an. Er kannte seinen Ruf und wusste, welche Wirkung er hatte. Die Frau hatte Angst vor ihm. Also begann er zu reden.
„Sie hatten den Auftrag, mir einen Bericht zu Dérúgo Feng, Sohn von Wei Feng, zu erstellen. Wei Feng kenne ich persönlich gut, noch besser kannte ich dessen älteren Bruder. Er hat sich am Sterbebett seiner Frau das Leben genommen. Ach, welche Verschwendung.“ Deng registrierte, dass Mai Song sich etwas entspannte, er plauderte weiter.
„Der Feng-Clan ist einer der einflussreichsten in China, seit über fünf Jahrzehnten bestimmen die Fengs die chinesische Politik mit. Sie haben alle Höhen und Tiefen der jüngeren Geschichte Chinas unbeschadet überstanden. Die Familie ist in der Partei, der lokalen und überregionalen Politik, im Staatsapparat, im Militär, in der Wirtschaft und den Hochschulen hervorragend vernetzt.
Als der ältere Bruder Wei Fengs tot war, versuchten
Weitere Kostenlose Bücher