Homo ambrosius (Die Organhändler) (German Edition)
Song aber nicht zeigen, wie umfassend er bereits informiert war.
„Nein, unsere Botschaft konnte eine Inhaftierung gerade noch verhindern. Daraufhin schränkte ihn sein Vater finanziell stark ein. Das muss ihn ziemlich getroffen haben, denn gegenüber einem Bekannten schwor Dérúgo, dass er nie mehr von jemandem finanziell abhängig sein wolle.“
„Eine interessante Aussage, und was geschah dann?“
„Mit Dérúgos Fortschritten an der Universität war sein Vater sehr zufrieden. Der Vorfall mit der Prostituierten war offensichtlich bald wieder vergessen. Nach dem Abschluss in Deutschland holte ihn sein Vater zuerst zurück nach China und schickte ihn dann nach Hongkong. Dort absolvierte er ein zweites Studium mit Schwerpunkt internationales Management. Hier lernte er, Europa aus einem vollkommen anderen Blickwinkel zu betrachten.“
„Sie betonen diesen anderen Blickwinkel. Ich nehme an, dies ist von Bedeutung?“, hakte Deng nach.
„Oh ja“, erwiderte Mai Song. „In einer Seminararbeit schrieb er, ich zitiere: Europa ist eine historisch gewachsene Macht, die mit Ende des Kalten Krieges immer mehr an Bedeutung verlor und sich zunehmend in die Randzonen des Weltgeschehens verabschiedete. Hochverschuldet, ressourcenarm und im höchsten Maße abhängig, überaltert, desorientiert im verzweifelten Bemühen, die nationalistischen Einzelstaaten unter der Bezeichnung Europäische Union unter einen Hut zu bringen.“
„Eine interessante Einschätzung des jungen Mannes. Ich nehme an, er sah deswegen seine Zukunft in China?“
Mai Song schaute Deng erstaunt an. „Ja, das hat er so auch an seinen Vater geschrieben. Deswegen hat es mich überrascht, dass er doch wieder nach Deutschland zurückging.“
Deng war davon nicht überrascht, er war schließlich dafür verantwortlich. „Gibt es aus seiner Zeit in Hongkong etwas zu berichten?“
Mai Song blätterte in ihren Unterlagen eine Seite weiter: „In Hongkong nutzte er die Kontakte seiner Familie und sein Wissen über Europa. Er akquirierte sehr erfolgreich für eine Hongkonger Bank Europäer und Amerikaner, die ihr Vermögen vor dem Fiskus ihrer Heimatländer in Sicherheit bringen wollten. Ein einfacher und sehr lukrativer Job. Sein Nebenverdienst reichte aus, um seine Sucht nach Luxus und Extravagantem auszuleben. Und Luxus bedeutet für ihn auch: andere Menschen seinen Wünschen und Forderungen zu unterwerfen. Geld macht das möglich.
In dieser Zeit begann er mit einem teuren Hobby, dem Sammeln von Edelsteinen. Als Erstes hat er den Diamanten Beau Sancy gekauft, den das Auktionshaus Sotheby’s in Genf versteigerte, damit hat er zum ersten Mal im internationalen Geldadel ein gewisses Aufsehen erregt. Der Stein zierte einst die Krone von Maria von Medici, als sie 1610 zur Königin von Frankreich gekrönt wurde. Für den 34,98 Karat schweren, birnenförmigen Edelstein zahlte Dérúgo etwas mehr als neun Millionen Schweizer Franken. Geld, das er sich zum größten Teil geliehen hatte.“
„Er sammelt Edelsteine?“ Deng ärgerte sich. Das war etwas äußerst Auffälliges, doch er hörte jetzt zum ersten Mal davon.
„Ja, die Jagd nach Edelsteinraritäten scheint ihn zu reizen. Ich vermute, dass der finanzielle Wert dabei nebensächlich ist. Es ist wohl mehr eine Art Drang, Dinge zu besitzen, die einzigartig sind. Und der Reiz, sich gegen andere Interessenten durchsetzen. Ihnen zu zeigen, dass er jemand ist.“
Deng schaute sie gespannt an. „Mai Song, Sie haben sich ausführlich mit Dérúgo Feng auseinandergesetzt. Ich habe Ihren Bericht und Ihre Beurteilung gelesen. Trotz aller professioneller Neutralität, um die Sie sich bemühen, Sie finden ihn nicht sympathisch?“
Mai Song zögerte.
„Nur zu, Ihre Meinung ist mir wichtig, und es bleibt alles in diesem Raum“, ermunterte Deng die Psychologin.
„Dérúgo Feng ist ein Alphatier. Er ist aus meiner Sicht skrupellos, wenn es darum geht, seine Ziele zu erreichen. Er giert nach Macht.“
„Er giert nach Macht, nach politischer Macht?“
„Das weiß ich nicht. Derzeit ist er politisch nicht aktiv, wenn er es aber je werden sollte?“ Sie wog ihre Worte ab. „Ja, dann vermutete ich, nein, bin ich mir sicher, dass er nach absoluter Macht streben wird.“
Deng nickte zufrieden, genau das hatte er hören wollen.
Dérúgo Feng flog auf Langstrecken immer erster Klasse, er liebte den Luxus. Er erinnerte sich nicht daran, jemals mit den normalen Geschäftsleuten und Urlaubern gereist zu sein. In
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