Honky Tonk Pirates - Das vergessene Volk - Band 2

wie durch ein Tor verschwunden war, und befand sich plötzlich in einem Tunnel aus Licht.
    Über und unter ihm flirrten die Blätter. Will spürte die Schatten um ihn herum, und etwas Großes schwang sich über ihm durch die Wipfel des Dschungels.
    »Wo bist du denn, Hannah?«, rief Will besorgt und stürmte den Tunnel entlang, der sich wie eine riesige Ader den Berg hinaufwand. »Hannah, wo bist du?«, rief Will abermals und dann glaubte er, einen Panther zu sehen. Einen pechschwarzen Panther mit graugrünen Flecken.
    »Hannah!«, rief Will und er holte sie ein, als sie kurz unter dem flachen Gipfel des Berges zusammen mit den Triple Twins eine Lichtung betrat. »Hannah, sei vorsichtig. Die Insel ist bewohnt! Ich hab es gesehen und ich hab es geträumt. Ich hab es geträumt, wie ich von dir geträumt hab, dass wir zusammen den Kraken besiegen.«
    »Wir?«, stutzte Hannah. »Soviel ich weiß, war ich allein. Aber wenn du’s geträumt hast …«
    Die Triple Twins lachten.
    »… dann gibt es hier ganz bestimmt Kannibalen. Uaaah!«, lachte Hannah. »Und die haben den Eingang der Schatzhöhle da mit tausend bösen Fallen gespickt.«

    Jetzt sah auch Will den Eingang der Höhle. Der lag nur noch 15 Meter entfernt auf der anderen Seite der Lichtung.
    »Und weil das so ist, weil du es geträumt hast, räumst du jetzt die Hindernisse für uns aus dem Weg.« Sie grinste ihn an. »Du willst mir doch beweisen, dass du nicht nur der jüngste und grünste, sondern auch noch der beste Pirat der Welt bist. Das willst du doch, oder?« Sie musterte ihn skeptisch: von den klatschnassen Stiefeln bis hinauf zur triefenden Mütze. »Oder wolltest du mir nur zeigen, wie ein begossener Pudel aussieht? Hey, Will, ist das da Wasser, was dir deine Sommersprossen aufweicht, oder sind es schon Tränen?«
    Will wischte sich den Rotz von der Nase. Seine himmelhellblauen Augen wurden dunkel vor Zorn.
    »Es sind nur noch 15 Meter bis zum Ziel deiner Träume. Der größte Schatz für den größten Piraten,Will, und ich lass dir den Vortritt. Worauf wartest du noch?« Hannah verlor die Geduld, und wie immer, wenn sie das tat, drehte sie sich im Kreis und lief auf und ab wie ein Tiger.
    Ein Tiger! Ein Jaguar!, schoss es Will durch den Kopf. Oder ein Panther.
    »Ja-mahn. Was glaubst du?«, fragte die Piratin empört. »Dass man irgendwas auf der Welt umsonst kriegen kann? Glaubst du, dass der Krake ein Tanzbär war? Mit herausgerissenen Krallen und abgeschliffenen Zähnen? Und glaubst du, dass der Teufel, mit dem ich verhandelt habe, keinen Pferdefuß hatte? Verfuchst, Will, was glaubst du, was passiert, wenn der Schatten erst kommt? Der Schatten des Rochens. Ja-mahn. Darüber rede ich jetzt.« Sie kaute nervös auf der Unterlippe. »Willst du, dass es Jo umsonst erwischt hat,Will?«
    Sie blitzte ihn an und er antwortete leise und eingeschüchtert:
»Nein.« Dann ging er los. Er ging auf die Lichtung in Richtung der Höhle, die sich mit einem dunklen, drei Mannslängen hohen Spalt vor ihm auftat. Doch vorher musste er noch den 15 Meter langen Weg über die Lichtung zurücklegen. Will setzte einen Fuß vor den anderen über das weiche Moos, das die Felsen bedeckte. Er spähte nach rechts, nach links, nach vorn, nach hinten und oben, da gab der Boden unter ihm nach. Will blieb nicht einmal Zeit zum Schreien.Alles, was er dachte, war nur: Das war’s! So einfach ist das, wenn man draufgeht. So einfach und schmerzlos.
    Da fanden seine Füße urplötzlich Halt. Er stand auf dem Boden der Fallgrube, und während sein Kopf gerade noch über ihren Rand hinausragte, stoben Schwärme von Schmetterlingen um ihn herum und in den Himmel hinauf.
    Verfuchst, ist das schön!, dachte Will. Doch wo kommen die her? Waren die Schmetterlinge vorher in der Grube gewesen? Hatte man sie hier für ihn eingesperrt? War das vielleicht eine Begrüßung?
    Er hörte, wie Hannah hinter ihm lachte.
    »O ja, wir sind da. Wir sind an dem Ort, wo die Welt noch andersrum ist. He, Will, dein Freund hatte recht. Jo hat es gewusst. Hier gibt es Blumen statt Schwerter, und anstelle tödlicher Fallen werden wir alle von Schmetterlingen begrüßt.« Sie nahm einen Stock und sprang auf die Lichtung. Dort drehte sie sich über das Moos, und während sie tanzte, stieß sie den Stock in die Erde, fand noch drei Gruben und sah fasziniert zu, wie die Wolken der dort gefangen gehaltenen Falter für sie in den Himmel stiegen. »Ja-mahn!«, lachte sie. »Das ist schon ein Schatz. Viel besser als Gold