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Hoppe

Hoppe

Titel: Hoppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Hoppe
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Karte verschiebt, es gibt trotzdem nur ein Silvesterfest«.
    Hoppes Kinderalltag bleibt von melancholischen Spekulationen solcher Art allerdings unberührt. Sie ist weit weniger unglücklich, als sie vorgibt zu sein. Der Ehrgeiz ihrer frühen Texte steht, das gilt auch für ihr späteres Werk, kaum im Verhältnis zu ihrem wirklichen Leben. Die frühen Jahre in Kanada sind faktisch beherrscht von ihrer Freundschaft zu Wayne, in dessen Familie sie, wie zahlreiche Fotos beweisen, ein und aus ging und ein so gerngesehener wie gut bewirteter Gast war. Ms Gretzky war großzügig in Sachen Sahne, und Hoppes Vater dürfte das Fehlen seiner Tochter am Mittags- oder Abendbrottisch kaum aufgefallen sein, waren sie doch seit ihrer Ankunft in Brantford schnell übereingekommen, einander weitgehend in Ruhe zu lassen, wie eine nachgelassene Sammlung von Zetteln beweist. Man verständigte sich über unaufwendige schriftliche Zeichen: »Komme um sieben.«, »Bleibe bis sechs.«, »Bin auf dem Eis.«, »Essen im Kühlschrank.«, »Nicht ins Labor gehen – Dämpfe!«. Oder: »Elternsprechtag fällt aus.«, »Umso besser.«. Und: »Mütze aufsetzen.«, »Briefkasten leeren!«, »Versuche nachher, ins Stadion zu kommen, weiß aber noch nicht, ob ich’s einrichten kann: Patentkonferenz.«
    Selten genug, dass der Vater es einrichten kann, meistens bleibt er abends zu Hause, in seinem privaten Labor, und macht erst kurz nach Mitternacht »zwei bis drei Schritte, bleibt lauschend an meiner Zimmertür stehen und bildet sich ein, mich atmen zu hören. Ich halte die Luft an, krieche, die Uhr auf dem Herzen, unter die Decke, es tickt und klopft und leuchtet im Dunkeln. Im Licht der Uhr schreibe ich Briefe aus Übersee, in denen ich meine Geschwister frage, wie es ihnen und unseren Eltern geht, was die Sahne macht und das
Miramare
und wann sie mich endlich besuchen kommen.« Morgens auf dem Tisch die Notiz: »Brauche Briefmarken (die mit dem Schiffsmotiv!).«
    Die Tage dagegen sind sportlich gefüllt. Wayne, ganz Praktiker, schreibt weder Briefe noch Zettel, springt stattdessen im Garten hinter dem Haus seiner Eltern, den sein Vater zu Trainingszwecken jeden Winter mit Hilfe des Rasensprengers gleichmäßig flutet und zum häuslichen Eisring einfrieren lässt (»Warum im Park frieren, wenn es im eigenen Garten kalt genug ist!«), zusammen mit seinen Geschwistern (»die furchtlosen Vier«) über leere Waschmittelbehälter, Bierdosen und umgestürzte Picknicktische, um den Puck im Flug zu nehmen und dahin zu bringen, wohin er gehört: ins Tor.
    Die kaum sechsjährige Hoppe, fasziniert vom kanadischen Zirkus eiskalter Ritterspiele, ist regelmäßig mit von der Partie, um immer wieder von vorn zu verlieren. Trotzdem gibt sie nicht auf. Noch Jahrzehnte später sind es nicht die Parolen ihres Erfindervaters, sondern die ihres »ersten Trainers«, Walter Gretzky, die sie auf ihre Fahnen schreibt und mit denen sie noch Jahre später in einer Kompositionsklasse in Adelaide Eindruck zu schinden versucht, als sie in einem Vortrag zum Thema
Schuberts Wanderjahre
ein musikalisches Verfahren mit einem sportlichen Leitmotiv Walters veranschaulicht: »Try to skate where the puck is going, not to where it is coming from!« (»Aufs Ende hin, nicht vom Anfang her spielen!«) Denn: »Die Steine, selbst so schwer sie sind, sie wandern mit dem Mond herein und wollen immer schneller sein.« (Hier meint Hoppe offenbar
Die schöne Müllerin
./fh)
    Musik ist in Gretzkys überflutetem Garten allerdings kein Thema, der Mond bestenfalls eine »Naturlampe«, die das Familienstadion winters spärlich ausleuchtet. In »Wally’s Coliseum«, so der Ring im Familienjargon, trainiert Walter nach Feierabend und an Wochenenden so unermüdlich wie gnadenlos nicht nur die eigenen, sondern sämtliche Kinder der Nachbarschaft, die »wenigstens einen Ansatz von Eignung und Leidenschaft« zeigen. Mit Erfolg, zumindest was Wayne betrifft, »alles geht vor ihm ins Knie, sogar der Picknicktisch«, wie Felicitas feststellt, deren Bewunderung für »meinen Zwilling« (Wayne ist, fast auf den Tag genau, einen Monat jünger als sie) keine Grenzen kennt.
    Weniger Ehrgeiz als Eifersucht ist im Spiel, wenn sich die »Sonntagsverliererin« nach Feierabend auf ein anderes Feld verlegt, von dem sie genau weiß, dass Wayne, »ein schweigsamer Esser«, hier nicht mithalten kann. Sie schneidet auf und erfindet nach dem Training an Gretzkys Familientisch phantastische Geschichten: Von einer fernen

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