Hoppe
Kinder an einem runden Tisch, darunter, blond und überraschend zerbrechlich, Wayne. Neben ihm ein kleines gedrungenes Mädchen mit dicken Beinen in kurzen Stiefeln, das eine schlecht geschnittene Weste und Zöpfe trägt, die auf keinem Bild eine Frisur ergeben. Felicitas’ so verstockter wie nachsichtiger Blick geht ungerührt in die Kamera, der Blick eines Kindes, das genau weiß, dass es, wo auch immer, nur Gast ist.
Die für Hoppe typische Mischung aus Sehnsucht und Gleichmut findet sich auch auf anderen Bildern wieder. Schon als Kind wusste Felicitas genau, dass sie nicht fotogen war, dass sie, wie sie später gelegentlich kokett zu bemerken pflegte, »kein Talent zum Einheiraten« hatte. Aber es gibt auch jene anderen seltenen Bilder des Glücks, auf denen sie sich unvermutet im Freien befindet, nicht in der Küche und nicht am Tisch, sondern draußen, auf einem eiskalten Ring zwischen Wayne und Walter und Waynes Geschwistern, den berühmt-berüchtigten furchtlosen Vier. Bilder, auf denen ein strahlendes Mädchen zu sehen ist, das seinen Schläger entschlossen wie eine Fahne erhebt und auf geliehenen Schlittschuhen hinaus in den Raum schießt, als ginge es kurzfristig auf eine Reise, auf der kein Wayne es begleiten kann.
»Sie (Hoppe/fh) hatte den Hang, immer übers Ziel hinauszuschießen«, erzählt ihr späterer Trainer Bamie (Bamie Boots), der sie, längst Walters Eisring entwachsen, unter seine Fittiche nahm und ihr jenen Hang attestierte, »mit dem man nichts anfangen konnte, diese lästige Neigung, andauernd über das Spielfeld hinauszudenken. Ehrlich gesagt: Was macht man erstens mit einem, der andauernd denkt. Zweitens mit einem, der andauernd drüber hinausdenkt. Man sagt sich, okay, von mir aus, für den Fall des Falles ein guter Verlierer.
Aber was will man mit einem guten Verlierer, wenn man, de facto, gewinnen will. Was das betrifft, war Felicitas untauglich, ein Talent, das sich ständig selbst zurückpfeift. Lästig. Wie kann man gut sein und so wenig draus machen? So viel Begabung und so wenig aufs Tor. Wild entschlossen und niemals auf Sieg. Wobei das nicht ganz stimmt, denn sie war, wie wir alle, natürlich immer auf Sieg aus. Ehrlich gesagt habe ich nie eine Spielerin gesehen, die sich mehr über Siege freute, keine, die gieriger auf Triumphe aus war, immer drauf aus, ihren privaten Jubel unter die Leute zu bringen. Klein und großmannssüchtig zugleich. Wenn sie gewann, war sie wirklich unschlagbar. Und wenn sie nicht gewann, war sie es auch. Ein Trick, den ich nie ganz begriffen habe. Wir verloren ja damals andauernd, aber wenn Felicitas neben mir saß, und damals war sie nicht älter als zehn, hatte ich trotzdem das Gefühl, wir hätten jetzt irgendwas gewonnen. Keine Ahnung, was. Ein Hockeyspiel jedenfalls nicht.«
Bamie Boots, ein mittelmäßiger Trainer der B-Junior-Liga, war vermutlich alles andere als ein begabter Psychologe. Trotzdem lohnt es sich, seinen Äußerungen Aufmerksamkeit zu schenken. Er verbrachte viel Zeit mit Felicitas und kam ihrer Persönlichkeit dabei in mancher Hinsicht näher als spätere Exegeten ihrer Werke. »Was Sportsgeist betrifft«, so BB in einem Interview aus den späten achtziger Jahren, »war sie bemerkenswert. Na gut, was ist schon Sportsgeist? Ich glaube, sie war einfach verliebt in das Wort, sie war sowieso andauernd verliebt in Wörter, was mir, ehrlich gesagt, auf die Nerven ging. Andauernd sagte sie Sachen wie: Was ist Sport ohne Geist und Geist ohne Sport? Geist, sagte ich, ist, wenn du den Mund hältst. Und Sport ist, wenn du jetzt einfach mal deine Kufen polierst, die Schuhe anziehst und zusiehst, dass du warm wirst und aufs Eis kommst. Und läufst und triffst. Alles andere interessierte mich nicht.«
Was Boots dabei nicht in die Waagschale warf, weil er kein Ohr dafür hatte, war Felicitas’ Mehrsprachigkeit, die er gar nicht zur Kenntnis nahm. Ihr Umgang mit Wörtern war weniger sprachverliebte Spielerei als die frühe, wenn auch kaum reflektierte Erfahrung, dass Angelegenheiten sich verändern, je nachdem, wie man sie ausdrückt. Felicitas las und sprach längst in fließendem Englisch, schrieb aber, jenseits ihrer Schulaufsätze, ausschließlich in ihrer Vatersprache, also auf Deutsch. Und träumte in einer dritten Sprache, von der Bamie noch weniger Ahnung hatte: auf Polnisch, der Sprache ihrer Mutter, von der weniger die Sprache als die Erinnerung an eine ferne Klavierlehrerin übriggeblieben war, die längst aufgehört hatte,
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