Hoppe
Noch am selben Tag schreibt er den ersten einer langen Reihe von Briefen, von denen die meisten unbeantwortet bleiben. Erst acht Jahre später wird seine Hartnäckigkeit belohnt. Im Hamburger Rowohlt Verlag bei Reinbek erscheint Hoppes erstes Buch, eine kleine Sammlung von Kurzgeschichten, die allerdings nicht, wie Felicitas sich das gewünscht hatte, den Titel
Die Handlanger
trägt, sondern, wie Reimar Strat, einer ihrer ersten Rezensenten, spöttisch bemerkt, den »ambitioniert provinziellen« Titel
Picknick der Friseure
.
»Man merkt natürlich sofort«, so Strat, »dass hier eine schreibt, die uns von einer Welt erzählt, von der sie bis jetzt nichts gesehen hat. Dieses Buch ist auf bezaubernde Weise schön und überflüssig zugleich. Mangel an Phantasie kann man seiner Autorin jedenfalls nicht vorwerfen, sondern, im Gegenteil, nur ein unbeherrschtes Zuviel davon. Allerdings wusste schon Thomas Mann, dass Phantasie nur hat, wer sich aus den Dingen allzu viel macht. Und das tut, wie wir wissen, in der Regel nur, wer von der Welt nichts gesehen hat. In anderen Worten: Hochbegabte Museumsprosa, die über eine Relecture der eigenen Kindheitsgeschichte leider selten hinauskommt.«
Picknick der Friseure
, erschienen 1996 , brachte der bis dahin vollkommen unbekannten deutschen Autorin Felicitas Hoppe, geboren als drittes von fünf Kindern in Hameln an der Weser, immerhin einen Achtungserfolg ein. Sie erhielt, nicht nur zu ihrer eigenen, sondern vor allem zur Überraschung ihres Verlages für ihr »schmales Bändchen, Kaleidoskop und Vexierspiel in einem« (Strat) mehrere renommierte Preise, woraufhin die Autorin den Entschluss fasst, ein Schiff zu besteigen und von Hamburg nach Hamburg zu reisen, »um die Welt endlich mit eigenen Augen zu sehen«. Dass sie die Reise jemals unternahm, ist nicht verbürgt.
Verbürgt dagegen ist, dass Hoppe, heute in Berlin ansässig, bereits 1998 mit
Picknick der Friseure
auf Lesereise an die nordamerikanische Westküste ging und dabei unter anderem Station an der University of Oregon machte, wo sie nicht nur Gil Gott und Debby Clark wiedertraf, sondern auch zum ersten Mal Tracy Norman begegnete, die ihr bis heute so kritisch wie enthusiastisch die Treue hält und mit der sie, wie sie nach Deutschland berichtet, zwischen zwei Lesungen mehrfach (und mit größtem Vergnügen) schwimmen ging.
Herman Haman traf sie dort allerdings nicht mehr an. Er sei, so erzählte man ihr, eines Morgens nicht zum Unterricht erschienen, worauf man sich auf die Suche nach ihm gemacht habe: »Die Tür zum Haus«, so der Polizeibericht, »stand offen. Auf dem Tisch stand ein halbleer getrunkener Becher kalten Kaffees. Auch die Fenster standen offen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel mit dem Vermerk »Bin auf Exkursion: National Portrait Gallery«.
Die
National Portrait Gallery
befindet sich in Washington, D. C. im ehemaligen Gebäude des ältesten Patentamtes der Vereinigten Staaten, dem berühmten
Temple of Invention (Tempel der Erfindungen)
und ist Teil des
Federal Triangel
. Die Besucher konzentrieren sich in der Regel auf die Abteilungen
Präsidentenporträts
und
Porträtkunst der Gegenwart
. Dass es in der NPG auch ein
Erfinderzimmer
(im Volksmund spöttisch als »Hinterzimmer der Nation« bekannt) gibt, ist wenig bekannt. Noch weniger bekannt ist, dass es hier unter dem Buchstaben »H« einen Eintrag zu Karl Hoppe gibt (»Erfinder und Schneider anwachsender Gepäckstücke«, patentiert unter der Nummer 18062011 ) und dass es, wie der Museumswärter Clark Dark berichtet, im Erfinderzimmer alljährlich in der Nacht vom einundzwanzigsten auf den zweiundzwanzigsten Dezember zu einer seltsamen Erscheinung kommt, die bis heute als ungeklärt gilt und mittlerweile, fügt er stolz hinzu, längst zu einem wissenschaftlichen Forschungsgegenstand geworden sei:
Ein etwa fünfjähriges in ein wasserdichtes graues Rattenkostüm eingenähtes Mädchen betrete, auf dem Rücken einen Rucksack und auf dem Kopf einen Adventskranz mit vier brennenden Kerzen, das Erfinderzimmer (durch welche Tür, wisse niemand) und laufe, als ginge es um ihr Leben, immer wieder von vorn, die endlose Reihe ihrer Erfindungen ab, wobei sie ihnen, in alphabetischer Reihenfolge, abwechselnd Farben, Tonarten, Ziffern und Buchstaben zuweise:
Lady Helena Ayrton (A), Bojana Baton (Grün), Alexander Bell (a-Moll), Lucy Bell (Schwarz), Joey Blyton (C-Dur), Quentin Blyton (Blau), Virginia Blyton (Z), Bamie Boots ( 7 ), Yasmine Brückner
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