Hornblower 11 - Zapfenstreich
Pentagon zutragen. Wenn man die Napoleonischen Kriege in Betracht zog, so paßte die Idee genau in das Jahr 1805 und in keine andere Zeit hinein; und zu keiner anderen Zeit war Hornblower verfügbar, um mit hineinverwickelt zu werden, und es gab niemand, der für diese Sache geeigneter sein könnte als Hornblower. Der skeptischste Psychiater, der zynischste Leser muß doch zugeben, daß hier eine beträchtliche Zahl von Gegebenheiten auf erstaunliche Art zusammentrafen.
Im vorigen Herbst beim Rasieren - oder überflogen meine Augen gerade die Bücherreihen meiner Bibliothek? - wurde ich plötzlich gewahr, daß dicht mit Muscheln besetzte Balken an die Oberfläche kamen, mich mit einer Schaustellung ihres Nachwuchses zu höhnen. Da packte mich die Furcht, ja, ein so starker Widerwille, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. All dieses gesunde Wachstum, das normalerweise helle Freude in mir erweckt hätte, wurde nun zu einer Quelle der Bitternis, denn jede neue Muschel war ein aus Hornblowers Sarg herausgezogener Nagel. Er war tatsächlich schon wieder ganz heraus aus seinem Sarge; das Skelett im Schrank war das seine, und solange es da verweilte, widerstand sein Geist jedem Versuch einer Austreibung, bis er aufs neue anständig begraben sei. Jede Szene, die sich hinzufand, machte es nur deutlicher, daß es einfach notwendig war, Hornblower einzubeziehen. Die ganze Handlung konnte sich nur um Hornblower herum entfalten, und nur im Jahre 1805 konnte sie spielen. Der Neujahrstag 1964 fand mich in Maui, und dort - so entfernt von der Schlacht bei Trafalgar in Raum und Zeit und Atmosphäre wie nur denkbar - geschah es, daß ich den Widerstand und die Arbeit, die ich mir vorgenommen hatte, aufgeben mußte, um den Dingen ihren Lauf zu lassen. Und das ist seitdem in der gewohnten Form geschehen. Jetzt bin ich bei der Stufe angelangt, wo ich zuweilen meine Nachschlagwerke zu Rate ziehen muß, um die Tatsachen nachzuprüfen, damit ich entscheiden kann, ob eine neue Wendung der Handlung technisch auch wirklich durchführbar ist. Bevor ich heute morgen meine Tagesarbeit begann (den zweiten Arbeitstag an diesem Essay), wälzte ich die Seiten verschiedener Konversationslexika und nahm mir dann Boswells ›Das Leben Johnsons‹ heraus, um mein geringes Wissen über den Rev. Dr.
Dodd zu erweitern und zu erneuern, der im Jahre 1777 wegen einer Fälschung gehängt worden war. Was Dodd damals getan hatte, steht in gewisser Weise in Beziehung zu dem, was Hornblower unter Umständen 1805 tun sollte, und was ich vielleicht 1964 zu tun haben möchte.
In diesem Augenblick, da ich dies niederschreibe und den neuen Absatz beginne, bin ich gerade nach einer Runde durch das Zimmer an meinem Schreibtisch zurückgekehrt, und die Tatsache, daß ich wirklich herumging statt nur aufzustehen, ist ein Zeichen für die Lebhaftigkeit meiner augenblicklichen Empfindungen. Die Zukunft hängt in der Schwebe; ein weiterer Roman ist in den Bereich der Möglichkeit gerückt. Aber das ist noch nicht alles. Ich muß diesen Essay heute noch fertig schreiben, um ihn diesem Buch beizufügen - denn nicht nur der Drucker wartet, sondern auch die griechischen Inseln warten.
Falls mir die gegenwärtige und die künftige Arbeit noch irgendwie Raum lassen für einen vernünftigen Gedanken, will ich meine sofortige Abreise ins östliche Mittelmeer vorbereiten.
Griechenlands Mohnblumen drangen sich in meine geistige Schau, und der Sirenengesang, den Odysseus hörte, stiehlt sich in mein inneres Ohr. Aber was werde ich von dem einen wirklich sehen, was vom anderen wirklich hören? Ich bin ja tief entrückt in meine Gedankenwelt Immer neue Glieder werden sich für die Kette anbieten, und ich weiß aus langjähriger Erfahrung, daß eine Zeit kommen wird, wo ich die Auswahl zu treffen habe, wo ich, zögernd, ein Glied der Kette um eines anderen willen verwerfen muß, und die Glieder, die bewahrt und sicher schienen, am Maßstab historischer Ereignisse aufs neue geprüft werden müssen. Was kümmert mich ›Die Straße der Ritte‹ wenn es für mich wesentlich ist, sofort zu wissen, wie viel Linienschiffe Hornblower nach Westindien begleiteten?
Dies alles klingt so, als ob ich den Roman nun schreiben würde, aber das ist natürlich ganz ungewiß. Auch früher schon haben sich Stoffe und Themen angeboten, die ich am Ende verwarf, wenn mir der Roman schließlich doch nicht des Schreibens wert oder geschmacklos oder zu schwach schien.
Das kann auch dieses Mal leicht wieder
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