Horror Factory - Pakt mit dem Tod
dieses Palastes zurückkam.
Herman schloss einen Kompromiss mit sich selbst, indem er sich fest vornahm, nur noch einen Blick hinter die nächste Tür zu werfen. Mit heftig klopfendem Herzen schob er die Tür am anderen Ende des Raumes auf …
… und fand sich abermals in einer vollkommen anderen Welt wieder, nur dass diese ebenso erschreckend und düster war wie die andere luxuriös und schimmernd. Und sie war so bizarr und morbide, dass er sowohl die beiden Jungen als auch das Nagen seines schlechten Gewissens auf der Stelle vergaß.
Aber das wäre vermutlich jedem an seiner Stelle so ergangen, denn Herman stand Auge in Auge dem Tod gegenüber.
Er stand auf der anderen Seite des großen Zimmers, hatte die rechte Hand wie zum Gruß gehoben und grinste aus einer Höhe von annähend sechs Fuß auf ihn herab, und Auge in Auge stimmte nur im übertragenen Sinne, denn die schreckliche Gestalt hatte gar keine Augen, sondern starrte ihn aus leeren Höhlen an. Genau genommen hatte sie auch keine Lippen, die sie zu einem spöttischen Grinsen zurückziehen konnte, und ganz genau genommen nicht einmal ein Gesicht, oder überhaupt Fleisch, Sehnen, Haut oder Haare. Es war der Tod in seiner ursprünglichen Form, ein sechs Fuß großes, aufrecht stehendes Skelett, dem nur noch die Sense in der rechten Hand und eine schwarze Kutte gefehlt hätte, um genauso auszusehen wie die unheimlichen Bilder in der alten Familienbibel, die sein Vater ihm einmal gezeigt hatte, um ihm vor Augen zu führen, was diejenigen erwartete, die kein gottgefälliges Leben führten.
Es war nicht der erste Totenschädel, den Herman sah. Ihre Farm lag ganz in der Nähe eines alten Schlachtfeldes aus dem Bürgerkrieg, und es verging kein Frühjahr, in dem sie nicht den einen oder anderen Knochen oder auch ganzen Schädel beim Umpflügen fanden. Erst im zurückliegenden Frühjahr hatten sich seine älteren Geschwister einen Spaß daraus gemacht, ihn mit den Gebeinen eines Toten zu bewerfen und zu behaupten, damit zugleich einen schrecklichen Fluch auf ihn zu laden, würde sich der nunmehr ruhelose Geist des Toten doch ganz schrecklich an dem rächen, der ihn aus seiner ewigen Ruhe gerissen hatte. Seinen Geschwistern hatte dieser derbe Spaß eine gehörige Tracht Prügel eingehandelt, als sein Vater sie dabei überraschte, und Herman war weder wirklich erschrocken gewesen, noch waren ihm danach irgendwelche ruhelosen Geister erschienen, um ihn zu quälen.
Jetzt jedoch erschrak er fast zu Tode, denn er wusste zwar, was Knochen und Totenschädel waren, doch er war noch nie einem Skelett in seiner Gänze begegnet, das aufrecht vor ihm stand und die Hand wie zum spöttischen Gruß erhoben hatte, und eigentlich sollte das ja auch vollkommen unmöglich sein, verfügte es doch weder über Fleisch noch über Muskeln und Sehnen, um all diese Knochen zusammenzuhalten. Und doch stand es da, real und niederträchtig grinsend, und hinter seinen leeren Augenhöhlen erblickte er dieselbe Schwärze und Gnadenlosigkeit, die er auch schon in Matthews Augen gesehen hatte. In diesem Moment, in dieser einen Sekunde, die sein Leben radikal und unwiderruflich verändern sollte, wusste er einfach, dass er dem Tod gegenüberstand, dem grimmigen Schnitter, der gekommen war, um ihn zu holen und für all die Sünden zu bestrafen, die er in seinem noch jungen Leben schon angehäuft hatte. Herman war sich keiner besonderen Missetaten bewusst, doch es musste wohl so sein, denn warum sonst sollte sich der Unhold die Mühe gemacht haben, extra hierherzukommen und auf ihn zu warten? Er würde sterben, hier und jetzt, und der Tod war ganz gewiss nicht der friedvolle lange Schlaf, von dem seine Mutter manchmal sprach, sondern das genaue Gegenteil – und noch schlimmer.
Endlich gewann seine Vernunft wieder die Oberhand und machte ihm nicht nur klar, wie lächerlich das war, was er gerade gedacht hatte, sondern auch, wo er sich wirklich befand und was seine unheimliche Entdeckung in Wahrheit war. Das Haus, in das er sich gerettet hatte, gehörte Doktor Estan, dem grauhaarigen Landarzt, der nicht nur über die Gesundheit der Einwohner Miltons wachte, sondern auch der der umliegenden Gemeinden. Herman kannte ihn gut, denn er hatte es sich schon vor Jahrzehnten zu eigen gemacht, zweimal im Jahr seinen betagten Einspänner aufzuzäumen und jeden einzelnen seiner Schutzbefohlenen zu besuchen, ob er nun krank war oder nicht. Sein Vater mochte ihn nicht, was aber nichts Persönliches war. Er war
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