Hotel der Sehnsucht
haben, Samantha ohne ihre ausdrückliche Aufforderung nicht zu berühren - nicht einmal, um ihr beim Einsteigen ins Auto behilflich zu sein.
13. KAPITEL
Während der Rückfahrt waren Samanthas Kopfschmerzen so stark geworden, dass sie es vorgezogen hatte, in ihr Zimmer zu gehen, ein Schmerzmittel zu nehmen und sich schlafen zu legen.
Andre hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und saß im sanften Licht der Schreibtischlampe mit geschlossenen Augen an seinem Schreibtisch, den Kopf zurück-und die Füße hochgelegt.
Ursprünglich hatte er vorgehabt, sich in die Arbeit zu stürzen, um wieder klar denken zu können. Doch schon nach wenigen Minuten hatte sich gezeigt, dass seine gewohnte Strategie, Probleme dadurch zu bewältigen, dass er sie gar nicht erst an sich heranließ, in diesem Fall zum Scheitern verurteilt war.
Doch handelte es sich in diesem Fall um ein ziemlich spezielles Problem. Immerhin stand die Zukunft seiner Ehe auf dem Spiel, und das rechtfertigte schon mal, dass sich selbst ein hartgesottener Geschäftsmann dem Selbstmitleid ergab - wenigstens für eine Weile.
Im Hintergrund erklangen die letzten Akkorde von Puccinis La Boheme, und der Füllfederhalter in Andre's rechter Hand war längst zum Taktstock geworden, der kleine Kreise in die Luft malte, um schlagartig zum Stillstand zu kommen, als aus dem
Treppenhaus das Geräusch unsicherer Schritte ins Zimmer drang.
Andre" öffnete die Augen und blickte starr auf das erleuchtete Dreieck der halb geöffneten Tür und wartete gespannt auf den Moment, in dem Samantha auftauchen würde.
Was mochte sie nur vorhaben? Würde sie den Klängen der Musik folgen und ins Zimmer kommen?
Es war noch nicht lange her, da hätte sich die Frage erst gar nicht gestellt. Denn früher hätte er jede Wette gehalten, dass Samantha zumindest den Kopf zur Tür hereingesteckt hätte, um eine spitze Bemerkung zu machen. Es entsprach nicht ihrem Naturell, die Chance auf eine Auseinandersetzung ungenutzt verstreichen zu lassen - selbst wenn es nicht den geringsten Anlass dazu gab.
Andre konnte sich nur an eine Gelegenheit erinnern, bei der sie auf direktem Wege an seiner Tür vorbeigegangen war. Das war ziemlich genau zwölf Monate her.
Nichts geschah. Doch zur Haustür war Samantha diesmal nicht gegangen und in die
Küche auch nicht - beides hätte er von seinem Platz aus bemerkt. Nur mit äußerster Mühe konnte er dem Drang widerstehen, aufzuspringen und nachzusehen, was Samantha dort draußen machte. Er hatte getan, was er tun konnte, und wie es weitergehen sollte, musste sie entscheiden.
Ein knarrender Laut drang an sein Ohr, und kaum merklich vergrößerte sich das helle Dreieck an der Tür. Samantha! dachte Andre und hielt unwillkürlich den Atem an. Was mochte sie anhaben? Ein Nachthemd? Oder ihren Mantel? fragte er sich und stellte sich darauf ein, im nächsten Augenblick aufzuspringen, um sie daran zu hindern, ihn erneut zu verlassen.
Als erst ihr Schatten und schließlich sie selbst an der Tür auftauchte, senkte Andre den Blick, um seine Erleichterung zu verbergen. Samantha trug einen Morgenmantel aus Seide und sah aus, wie sie morgens immer ausgesehen hatte: entspannt, verletzlich, begehrenswert und ein wenig verschlafen.
„Hallo", begrüßte sie Andre unsicher. „Ich würde mir gern Frühstück machen, wenn du nichts dagegen hast."
„Es ist neun Uhr abends", erwiderte er amüsiert.
„Ich weiß." Ein verlegenes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Trotzdem habe ich Heißhunger auf Porridge mit Honig", gestand sie. „Du vielleicht auch?"
„Nein, danke", antwortete Andre ehrlich, um es im selben Moment zu bereuen. Denn Samantha nickte nur kurz, bevor sie sich umdrehte und das Zimmer wieder verließ.
Andre hätte sich ohrfeigen können. Endlich suchte Samantha ausdrücklich seine Nähe, und er hatte nichts Besseres zu tun, als die Einladung in den Wind zu schlagen. Wenn er ihr jetzt nachginge, bestand die Gefahr, dass sie es falsch verstehen könnte.
Er schloss erneut die Augen und legte sich zurück. In Gedanken sah er Samantha vor sich, wie sie in einem hauchdünnen Morgenmantel barfuß am Herd stand und sich die langen, wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht strich.
Genau fünf Minuten hielt er es so aus. Dann gab er sich einen Ruck und sprang auf, um in die Küche zu gehen. Samantha stand am Herd und bereitete das Porridge zu. Dankbar nahm Andre zur Kenntnis, dass sie den Wasserkessel aufgesetzt und die Teekanne auf den Tisch
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