Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
unzufrieden heraus: »Verdammt, alles wickelt sich so glatt und leicht ab. Es ist doch infam schwer, einen schwierigen Plan ins Werk zu setzen, bei dem's der Mühe wert ist, sich anzustrengen. Nicht einmal ein Wächter kommt uns in den Weg, den man einschläfern müßte – ein Wächter gehört doch wenigstens dazu! Kein Hund, der einen Schlaftrunk oder Gift haben muß, nichts, nichts! Dem Jim haben sie eine Kette, so dünn wie mein kleiner Finger, ums Bein getan und ihn damit ans Bett gebunden. Nun frag' ich eins! Ist das 'ne Art? Da muß man nur das Bett aufheben, die Kette abstreifen, und Jim ist frei. Und Onkel Silas, der traut jedem! Überläßt den Schlüssel dem Kürbisschädel von Nigger und bestellt niemand, der auf ihn aufpaßt. Jim hätt' schon längst aus dem Loch herausgekonnt, wenn er nur gewollt hätte, der ist aber zu klug und weiß, daß er mit der Kette am Fuß nicht weit käme. Hol's der Henker, Huck, es ist die dümmste Geschichte, die ich je erlebt hab'! Da heißt's alle Schwierigkeiten selbst erfinden. Na, das können wir nun nicht ändern, wir müssen eben versuchen, das beste aus der Sache zu machen. Eines tröstet mich, und das ist, daß es noch viel, viel glorreicher und rühmlicher sein wird, Jim durch einen Haufen von Gefahren und Abenteuern durchzubringen, wo nicht eine Schwierigkeit existierte, gar keine in den Weg gelegt wurde von denen, deren Pflicht es gewesen wäre, sie zu liefern, und wir sie alle, alle in unsrem eigenen Hirn ersinnen mußten. Das nenn' ich groß, und das tröstet mich auch und macht mir Mut! Nimm nur einmal bloß die eine Laterne an, Huck. Schon, dabei müssen wir nur so tun, als sei's gefährlich, was? Ich glaube, wir könnten bei Fackelzugbeleuchtung graben, es kümmerte sich noch keine Seele drum! Inzwischen müssen wir aber ausschauen, ob wir nichts finden, aus dem sich eine Säge machen läßt.« – »Was sollen wir damit?«
»Was wir damit sollen? Ei, müssen wir nicht das Bein von Jims Bett absägen, um die Kette loszukriegen?«
»Du hast ja eben selbst gesagt, daß man das nur zu heben brauche, um die Kette abzustreifen!«
»Na, das ist auch wieder ganz und gar nach deiner Art, Huck Finn. Du willst immer alles in der Klein-Kinderschul-Manier tun! Nur recht einfach, nur recht simpel! Hast du denn nie was gelesen? Kein Räuberbuch, keine Heldengeschichte? Baron Trenck oder Casanova oder Benvenuto Cellini oder Heinrich IV., kennst du keinen einzigen von diesen Helden? Wer hat je gehört, daß man einen Gefangenen auf so zimperliche Art befreit wie eine alte Jungfer? Nein, wir machen's, wie es die besten Autoritäten vor uns gemacht haben. Man sägt also das Bein des Bettes entzwei und läßt es dann so, leckt das Sägmehl auf und verschluckt es, so daß niemand es finden kann, dann wird Fett und Schmutz um die durchsägte Stelle gerieben, und das Auge des tapfersten, wachsamsten Seneschalls, oder wie sie die Kerle heißen, kann nichts davon entdecken, und er meint, das Bein sei vollständig heil. Dann, in der Nacht der Flucht, gibt man dem Bett einen Tritt – und ab fliegt das Bein, die Kette wird abgestreift und frei bist du! Nun hast du nichts weiter zu tun, als deine Strickleiter zu nehmen, sie am Fenstergitter zu befestigen, hinunterzusteigen, dein Bein beim letzten Sprung in den Festungsgraben zu brechen – denn eine Strickleiter ist immer neunzehn Fuß zu kurz, weißt du –, und dann kommen deine treuen Vasallen, die unten stehen, heben dich auf dein Roß, und fort geht's, wie der Wind, deinen heimatlichen Fluren in Languedoc oder Navarra, oder wie sie heißen, zu. Das ist herrlich, Huck, großartig! Ich wollte, wir hätten auch einen Festungsgraben um die Hütte! Wenn wir noch Zeit haben in der Nacht vor der Flucht, graben wir uns einen!«
Drauf sag' ich: »Was sollen wir denn mit einem Festungsgraben anfangen, wenn wir Jim doch unter dem Schuppen herausbohren wollen?«
Er aber hört mich nicht, hat mich und alles um uns her vergessen. In sich versunken sitzt er da, das Kinn in die Hand gestützt. Dann seufzt er auf, schüttelt den Kopf und seufzt wieder. Darauf sagt er: »Nein, das ginge am Ende doch nicht gut, es muß nicht gerade sein.« – »Was denn?« frag' ich.
»Ei, Jims Bein abzusägen«, sagt er.
»Herr, du mein Gott«, ruf ich, »nein, das ist allerdings gar nicht nötig. Zu was wolltest du ihm denn das Bein absägen?«
»Na, dafür gibt's genug berühmte Vorbilder. Genug haben's schon getan. Wenn sie die Kette nicht anders
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