Huckleberry Finns Abenteuer und Fahrten (German Edition)
Fenster hinauswerfen. So hat's die Eiserne Maske gemacht, und die hat's verstanden.«
»Jim hat aber keine Zinnteller. Sie schicken ihm das Essen in einer Blechschüssel.«
»Das tut nichts, die verschaffen wir ihm.«
»Wird aber jemand seine Tellerschrift lesen können?«
»Darauf kommt's nicht an, Huck! Er hat nur die Teller zu bekritzeln und dann wegzuwerfen. Das Lesen ist Nebensache, gehört nicht dazu! Neunundneunzigmal unter hundert bist du nicht imstande herauszukriegen, was ein Gefangener auf einen Teller oder sonstwohin kritzelt, darauf kommt's gar nicht an!«
»Ja, aber warum denn die vielen Teller so verderben?«
»Warum? Schwerenot, bist du dumm! Die gehören ja den Gefangenen gar nicht!«
»Aber irgend jemandem gehören sie doch, nicht?«
»Na und wenn! Was liegt dem Gefangenen dran, wem...«
Hier brach er ab, denn man hörte das Horn blasen, das uns zum Frühstück rufen sollte, und wir rannten dem Hause zu.
Im Laufe des Morgens nahm ich also ein Leintuch und ein Hemd von der Wäscheleine auf dem Trockenplatz und steckte beides in einen alten Sack, den ich gefunden hatte; das verfaulte Holz kam auch mit hinein. Ich nannte das borgen , wie mein Alter immer sagte, Tom aber meinte, das sei gestohlen. Er sagte aber, wir stellten jetzt eben Gefangene vor, und Gefangene nähmen alles, was sie kriegen könnten, und niemand sehe sie deshalb schief an und nehme es ihnen übel. Bei einem Gefangenen ist's keine Sünde, wenn er die Dinge stiehlt, die er zu seiner Befreiung braucht, sagte Tom, das ist sein Recht, und solange wir hier Gefangene sind, hätten wir das Recht, alles und jedes Ding zu stehlen, das wir zu unserer Befreiung brauchen. Er sagte, wenn wir keine Gefangenen wären, wäre es was ganz anderes, nur ein ganz gemeiner, erbärmlicher Kerl stehle, wenn er nicht gefangen sei. Wir beschlossen also, alles zu nehmen, was wir nur irgend brauchen könnten und was uns unter die Finger käme. Mir war das ganz recht, und doch fing Tom furchtbar an zu schimpfen, als ich einmal den Niggern eine Melone von ihrem Feld nahm und sie aß. Er zwang mich, hinzugehen und den Kerlen Geld dafür zu bringen, und sagte, das sei ganz was anderes und so hätte er's nicht gemeint, das sei gestohlen – gemein gestohlen, wir dürften nur nehmen, was wir wirklich brauchten. Das begriff ich nun nicht.
Sag' ich: »Tom, ich hab' die Melone wirklich gebraucht.«
Er aber sagte, nein, ich hätte sie nicht genommen, um damit frei zu werden! Das sei der Unterschied! Ja, wenn ich sie gebraucht hätte, um ein Messer drin zu verbergen, sie Jim zuzuschmuggeln, der dann den Senneschaal , oder wie der Kerl heißt, damit habe töten können, das wäre ein ander Ding gewesen. Ich ließ es gut sein, dachte aber bei mir, ich könne den Vorteil, ein Gefangener zu sein, nicht so recht einsehen, wenn man soviel Federlesens machen müsse, sooft man sich einmal eine Wassermelone zu Gemüt führen wolle.
Na, wie ich schon vorher gesagt habe, wir warteten also an jenem Morgen, bis alles im Hause an der Arbeit und niemand mehr im Hof war, um uns zu beobachten. Dann schleppte Tom den Sack in den Schuppen, während ich Wache stand. Als er wieder herauskam, setzten wir uns auf einen Holzstoß und plauderten.
Sagt' er: »Jetzt ist alles in Ordnung, nur noch Handwerkszeug brauchen wir, und das ist leicht zu haben.«
»Handwerkszeug?« frag' ich.
»Ja!«
»Handwerkszeug für was?«
»Na, um damit zu graben! Du wirst ihn doch wohl nicht mit den Nägeln herauskratzen?«
»Sind denn die alten Hacken und sonstigen Dinger da drinnen nicht gut genug, um einen Nigger herauszugraben?«
Darauf sieht er mich aber so traurig an, als sei ich seine Großmutter und als wolle er eben den Geist aufgeben.
»Huck Finn«, sagt er, »mit dir ist nichts anzufangen! Hast du je von Gefangenen gehört, die nur so nach Hacken und Spaten greifen konnten, um sich damit herauszugraben? Ich frag' dich auf dein Gewissen, Huck Finn, wenn du eins hast und ein Fünkchen Verstand dazu. Welch ein Anrecht auf Heldentum hätte ein Gefangener in diesem Fall? Ebensogut könnte man ihm geschwind den Schlüssel zum Kerker leihen, und damit fertig! Spaten und Hacken! Wahrhaftig! – Nicht einmal ein König würde sie kriegen!«
»Na«, frag' ich, »wenn wir also die Spaten und Hacken da drin nicht brauchen, was brauchen wir dann?«
»Ein paar richtige, ordentliche Taschenmesser!«
»Was? Um damit den Boden bis zur Hütte zu untergraben?«
»Ja!«
»Na, laß dich begraben, Tom,
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