Hüftkreisen mit Nancy
hochstieg, fand ich den Geruch des Hauses verändert. Der schweißige, säuerliche Kraftmeiergeruch fehlte. Stattdessen hing ein Aroma von frisch geweißten Wänden und blumig-sinnlichem Vollweiberparfüm in der Luft. Benommen trat ich ein, sah Gelb und Grün an den Wänden, Kübelpalmen, die bunten Luftballons, die überall herumhingen. Sie hingen an neuen Maschinen aus cremefarbenem Plastik, an Steppern und Crosstrainern, deren Low-Impact-Gleitschienen eine fast schon astronautische Schwerelosigkeit abstrahlten. Fassungslos ging ich zum mit Girlanden geschmückten Tresen, von wo eine kräftige Blondine mit kirschrotem Mund mir entgegenlachte.
«Na, wenn ich Sie so staunen sehe, dann sind Sie bestimmt ein Mitglied des ehemaligen Studios», mutterte die Blondine los. «Ja, seit einer Woche hat diese Einrichtung einen neuen Betreiber, und zwar die
San-Aktiv-Lounge
. Unser Konzept wendet sich an Menschen wie Sie, Menschenim besten Alter, Menschen in der Lebensmitte, die sich ein Mehr an Vitalität wünschen. Menschen, die im Berufsleben stehen, aber auf Flexibilität und Stabilität nicht verzichten wollen. Deswegen bieten wir unseren Kunden neben einer großzügigen Wellnesslandschaft auch ein Gerätetraining an ergodynamischen Modulen, die sich den natürlichen Bewegungsabläufen des Körpers gelenkschonend anpassen, dazu eine Reihe von Kursen wie
Bauch, Beine, Po
,
Flex-Yoga
, außerdem
Step-Power
für unsere Damen und für Herren wie Sie das
High-Balance-Workout
.» Die Blondine zeigte mir ihre gebleechten Zähne. «Um Ihnen den Wechsel in dieses neue, attraktive Fit- und Wellnesskonzept so leicht wie möglich zu machen, berechnen wir Ihnen beim Neuabschluss eines Mitgliedervertrages keine Aufnahmegebühr. Na, wenn das mal nicht Ihr Glückstag ist, Herr …?»
«Wo ist Nancy?», fragte ich verwirrt.
«Oh, für unser neues Konzept haben wir natürlich auch ein völlig neues, hochmotiviertes Team aus A-lizenzierten Fitnesstrainern und Body-Art-Masters zusammengestellt, das sich drauf freut, mit Ihnen zusammenzu …»
«Wo ist Nancy?», fragte ich noch einmal, diesmal etwas schärfer.
«Tut mir leid, dass wir bei der Neueinrichtung keine Angestellten des ehemaligen Betreibers berücksichtigen konnten. Aber wir haben uns bewusst auf Trainerpersönlichkeiten konzentriert, die den Bedürfnissen unserer Kunden auch gerecht werden.»
«Ich glaube nicht, dass irgendeiner Ihrer Fatzkes auch nur annähernd so gut meinen Bedürfnissen gerecht wird wie Nancy», antwortete ich schroff.
«Wenn Sie ein besonderes, persönliches Verhältnis zujener besagten Nancy hatten, verstehe ich natürlich Ihre Nachfrage», meinte die Kirschmund-Blondine pikiert. Aus der Damenumkleide kamen zwei Frauen in ihren Vierzigern. Rosa Trainingsanzüge, weiße Sportschuhe. Gleich würden sie einen Sportler-Flip ordern und in bunten Magazinen blättern. Es war nicht zu ertragen. «Sie verstehen gar nichts. Sie und Ihr Wellnessquatsch», sagte ich böse. «Soll ich Ihnen was sagen? Das ist total zwanzigstes Jahrhundert.»
Dann drehte ich mich abrupt um und ging, ein schnippisches Geräusch der Tresendame in meinem Rücken. Ich trug die Sporttasche die Treppe hinunter wie einen Altkleidersack. Draußen war die Luft zäher geworden. Die Gegend wirkte, als sei sie Ausland. Das Atmen fühlte sich wie Arbeit an. Die Menschen gingen herum, als hätte ihnen jemand «Herumgehen!» befohlen. Ich hatte Schmerzen zwischen den Augen und musste ein Zwicken in der Nase bekämpfen. Natürlich hatte ich gewusst, dass es nicht ewig gehen würde. Was hatte ich mir vorgestellt? Dass Nancy die verbleibende Zeit meines Lebens wie in einer Schneekugel überdauern würde, tausendschön und immerfroh? Dass sie nie eine Magen-Darm-Grippe kriegen würde? Niemals Kinder bekommen, niemals Cellulite? Dass hier nie Schluss sein würde? Dass sie nie woanders hingehen würde? Ich wusste nichts von ihr, und ich hatte es so gewollt. Uns verband nichts, außer ein paar skurrilen Momenten und dem sonderbaren Projekt, dass ich endlich mal aus der Hüfte kommen müsse.
Als ich so alt war wie Mascha jetzt, war ich eines Abends mit einem fürchterlichen Gedanken aufgewacht. Der Gedanke war so fürchterlich, dass ich aus dem Bett kletterte und klein und bleich ins Wohnzimmer tappte, wo meine Eltern einen nationalsozialistischen Unterhaltungsfilm ansahen.Meine Eltern waren keine strengen Eltern. Also fragten sie mich freundlich, was denn sei. Ich fragte: «Muss ich auch
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