Hühner Voodoo (German Edition)
wenn es zum Äußersten kommen würde. Zunächst würde sie sich einschränken. Die großzügige monatliche Spende, die sie dem «Verein zum Wohlthun» zukommen ließ, bereitete ihr Kopfzerbrechen. Der Verein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Leute finanziell zu unterstützen, die unverschuldet in Not geraten waren. Just bevor Ziegler kam, war sie dabei gewesen, einen Scheck für den Verein auszustellen. Es war eine sentimentale Geste und hatte mit ihren Eltern zu tun. Die beiden hatten sich nämlich auf die Liste der Bedürftigen geschwindelt, um auch im Alter noch ein angenehmes Leben führen zu können. Gwendolyn hatte davon erst bei der Beerdigung ihrer Eltern erfahren, seufzend den Kopf geschüttelt und entschieden, dass sie es indirekt wiedergutmachen würde. Das wollte sie nicht aufgeben.
Ihr Blick fiel auf die Karte der Psychologin. Sie schnaubte höhnisch. Zehn kostenlose Sitzungen! Rechnung an Wulfs Büro. Tzz. Sie sollte das Geld bekommen!
Genau! Sie würde der Vermögensverwaltung im Namen von Frau Doktor Wittenfeld eine Rechnung über zehn Sitzungen schicken, jedoch mit ihrer Kontonummer. Am besten einer neuen Kontonummer.
Gwendolyn lächelte. Und goss sich noch einen Cognac ein. Sie würde einen Termin bei Frau Doktor Wittenfeld vereinbaren, eine einzige Behandlung in Anspruch nehmen und sich eine Rechnung geben lassen. Mit den entsprechenden Änderungen versehen würde daraus eine Rechnung über zehn Behandlungen werden, sie würde sie an Wulfs Büro schicken und das Geld kassieren. Außerdem wäre es sicher sehr unterhaltsam, mal zu einer Psychologin zu gehen.
Sie griff zum Telefon.
«Guten Tag, hier ist Edna Gabler. Ich brauche einen Termin bei Ihnen.» – «Was? Erst in einem halben Jahr?» – «Sagen Sie, stimmt es, dass man für ein Jagdgewehr tatsächlich einen Waffenschein braucht?» – «Hm. Nun ja, machen Sie sich keine Gedanken, mir fällt schon eine Alternative ein.» – «Wie bitte? In zwei Stunden? Ja, kein Problem, da kann ich bei Ihnen sein.»
Gwendolyn legte auf. «Na bitte, geht doch», murmelte sie.
Die Einsicht, dass ihre Lebenszeit begrenzt war und dass einem, wenn man jenseits der 60 ist, für unorthodoxes Verhalten meist mildernde Umstände zugestanden wurden, führte dazu, dass sie sich selten Zurückhaltung auferlegte, wenn ihr ein absurder Gedanke durch den Kopf schoss.
Zwei Stunden später saß Gwendolyn Frau Doktor Wittenfeld gegenüber.
«Die Waffe, von der Sie am Telefon sprachen, brauchen Sie die, um sich zu schützen?», begann die Psychologin das Gespräch.
«Allerdings.»
«Sie fühlen sich also bedroht?»
«Ja.»
«Von wem?»
Gwendolyn beugte sich vor und flüsterte: «Von den Eichhörnchen.»
Doktor Wittenfeld verzog keine Miene. «Erzählen Sie mir mehr darüber.»
Gwendolyn hatte sich für eine massive Eichhörnchenphobie entschieden, um etwas Spaß mit der Therapeutin zu haben.
Sie gab sich sehr viel Mühe, ihre Beschwerden zu schildern. Doch Frau Doktor Wittenfeld, eine blasse humorlose Mittvierzigerin, beschränkte sich darauf, zu nicken, sich gelegentlich eine Notiz zu machen und immer wieder eine Blumenvase mit einer einzigen Lilie, die vor ihr auf ihrem Schreibtisch stand, um ein paar Millimeter zu verrücken. Sie hatte ganz offensichtlich einen Lilientick und ein Faible für Bauhausmöbel. Der weiße Schreibtisch und die Stühle, auf denen sie beide saßen, waren klassische Marcel-Breuer-Entwürfe der Firma Thonet. Die weiße Ledercouch und der am Kopfende platzierte Sessel waren unverkennbar Le Corbusier. In Reichweite des Sessels stand ein kleiner runder Glastisch, ebenfalls von Le Corbusier; auf dem Tisch wieder eine Vase mit einer einzigen Lilie. Ob die Möbel Originale waren und wirklich aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts stammten?
«Eichhörnchen also», fasste Frau Doktor Wittenfeld schließlich zusammen und lehnte sich leicht zurück. «Seit wann haben Sie dieses Problem?»
«Schon lange.»
«Und wieso haben Sie sich jetzt entschieden, etwas dagegen zu unternehmen?»
«Es werden immer mehr.»
«Gab es ein einschneidendes Erlebnis, das zu Ihrem Entschluss, zu mir zu kommen, führte?»
«Ja, man wollte mir keine Waffe verkaufen.»
Die Psychologin zeigte nach wie vor keine Emotion.
«Wie lautet denn Ihre Erklärung für Ihre Angst vor Eichhörnchen?»
«Sie wissen, dass die meisten Eichhörnchen keine Eichhörnchen sind, sondern kleine Teufel im Eichhörnchenpelz? Sie sind verkleidet.»
In diesem Moment
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