Hühner Voodoo (German Edition)
als Aufforderung, Konventionen zu ignorieren und Impulsen zu folgen.
Gwendolyn Herzog, ewige 59, Modell «Grand Dame», war nach vier Ehen finanziell abgesichert, kinderlos und immer offen für neue «Thrills», Dinge, die sie nicht mit «been there, done that» abtun konnte. Sie war mit einem speziellen Blick auf die Wirklichkeit gesegnet. Das Leben war für sie eine Theaterbühne; teils spielte sie mit, teils saß sie im Zuschauerraum, manchmal griff sie in die Handlung ein. Da sie sich ständig im Theater wähnte, kleidete sie sich entsprechend. Dezent war nicht das Wort, das man wählen würde, wenn man ihre Garderobe beschreiben sollte. Heute hatte sie ein brokatbesetztes Gewand gewählt, das laut ihren Angaben aus dem Nachlass von Eleonora Duse stammte.
Und nun das. Kein Geld mehr. Sie legte die Stirn leicht in Falten und versuchte Contenance zu bewahren.
«Und was bitte soll ich nun Ihrer Meinung nach tun?»
Ziegler blickte sich um. «Das Haus hier … Sie könnten es verkaufen.»
«Nein. Das ist keine Option.»
«Das Haus verursacht Kosten. Wie wollen Sie das finanzieren? Und wovon wollen Sie leben?»
«Als Finanzberater sollten Sie mir solche Fragen nicht stellen, sondern sie beantworten!», fauchte Gwendolyn. «Und wischen Sie sich das Stück Papiertaschentuch von der Stirn, das sieht ja lächerlich aus.»
Ziegler zuckte zusammen, fuhr sich hektisch über die Stirn und murmelte: «Entschuldigung.»
Gwendolyn atmete auf. Eins ihrer Probleme war gelöst. Nun kam das nächste dran.
«Also, was schlagen Sie vor?», fragte sie etwas freundlicher.
«Wohnen Sie hier ganz alleine?»
«Was soll die Frage?»
«Sie könnten vermieten. Eine Etage. Oder einzelne Zimmer.»
«Ich will nicht mit fremden Leuten unter einem Dach leben.»
«Was ist mit dem Souterrain? Ich hab gesehen, da gibt es einen separaten Eingang.»
«Das ist auch unter demselben Dach.»
«Aber Sie könnten es als Büro vermieten. Dann haben Sie nur tagsüber Leute im Haus, die abends wieder gehen. Das wäre eine Mieteinnahme, die, wenn Sie Glück haben, die Kosten des Hauses trägt. Dann könnten Sie hier wohnen bleiben. Für Ihren Lebensunterhalt müssten Sie allerdings arbeiten.»
Diese Ankündigung übertraf die ursprüngliche Schreckensnachricht bei weitem.
«Arbeiten?», rief Gwendolyn entsetzt.
Bernhard Ziegler sah die tiefe Falte, die sich augenblicklich auf ihrer Stirn gebildet hatte, und verspürte das dringende Bedürfnis zu gehen. Er fürchtete, dass dieser Ausruf nur das Vorbeben eines mächtigen Erdstoßes war, der gleich folgen würde, und stand auf.
«Hören Sie, es läuft ein Haftbefehl gegen Wulf», sagte er im Hinausgehen. «Wer weiß … vielleicht … womöglich erwischt man ihn und kann einen Teil Ihres Geldes retten. Mehr kann ich im Moment nicht für Sie tun.»
Gwendolyn folgte ihm. In ihren Augen zeigte sich ein gefährliches Funkeln.
Ziegler griff in seine Jackentasche und reichte ihr eine Visitenkarte. «Rufen Sie hier an. Einigen unserer Klienten, die in einer ähnlichen Lage wie Sie sind, hat es geholfen.»
«Ist das die Nummer eines Auftragskillers?»
Bernhard Ziegler riss die Augen auf. «Bitte? Oh Gott, nein. Natürlich nicht.»
Er hatte erheblich an Farbe verloren.
«Nicht für Sie. Für Wulf», stellte Gwendolyn klar.
«Ähm, also … es ist die Karte einer Psychologin. Sie können mit ihr über Ihre Probleme reden.»
«Ich soll jemanden dafür bezahlen, dass ich ihm erzählen darf, dass ich kein Geld mehr habe?»
«Aber nein. Die Behandlung ist für Sie kostenlos. Unsere Firma hat für solche Fälle einen Fonds eingerichtet. Wir übernehmen zehn Sitzungen. Sagen Sie Frau Doktor Wittenfeld, dass sie die Rechnung an uns schicken soll.»
«Was für ein Schwachsinn! Geben Sie mir lieber dieses Geld in bar, und gut ist», fauchte Gwendolyn.
Ziegler hatte die Türklinke in der Hand. «Tut mir leid, das ist im System nicht vorgesehen. Wir können Ihnen nur die zehn kostenlosen Sitzungen anbieten.» Er nickte ihr noch einmal zu und zog die Eingangstür hinter sich ins Schloss.
Gwendolyn fluchte. Man veruntreute ihr Geld und bot ihr als Entschädigung eine Therapie an? Sie war wütend.
Sie ging zurück ins Wohnzimmer, griff nach einer Karaffe aus Muranoglas, stellte sie aber wieder hin. Die Lalique-Kristallvase? Nein. Alles um sie herum war zu teuer, sie würde die Einrichtung nicht für einen Wutausbruch verschwenden. Wer weiß, womöglich würde sie einiges verkaufen müssen. Allerdings nur,
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