Hühner Voodoo (German Edition)
einen exakten Nachbau des elterlichen Bestattungsinstituts in Puppenstubengröße. Kleine Särge, kleine Kränze, kleine Leichenwagen. Während andere Kinder liebevoll mit Puppenstuben oder Kaufmannsläden spielten, war der kleine Frederick stundenlang mit seinem Miniatur-Bestattungsinstitut beschäftigt. Schon als Teenager arbeitete er in seiner Freizeit im elterlichen Betrieb. Seinen Vorschlag, zeitlich begrenzte Angebote mit dem Slogan «Sterben Sie noch diese Woche, und Sie sparen bis zu 30%» zur Umsatzsteigerung einzusetzen, lehnte sein Vater allerdings ab. Seine Mitschüler mochten ihn, fanden ihn aber sehr überspannt mit seinem Friedhofstick. Es dauerte ein wenig, bis er seine erste Freundin fand. Sie war Anhängerin einer Satanssekte. Die Beziehung hielt nicht lange. Der kleine Sarg, den er liebevoll für ihre Ratte gebastelt hatte und ihr als Geschenk überreichte, erzielte nicht die erhoffte Wirkung, da die Ratte noch lebte. Frederick ist konservativ, ein Kavalier der alten Schule und wusste schon als kleines Kind zwei Dinge ganz sicher: Er wollte das väterliche Unternehmen weiterführen und eine Familie gründen.
Mit Letzterem will es aber nicht so recht klappen. Frederick hat eine Ausfallquote von 90% zu beklagen – weigern sich doch viele Frauen energisch, beim ersten Rendezvous in einen Leichenwagen einzusteigen. Zu einem zweiten Rendezvous kommt es dann auch nicht mehr. Bleiben also nur lausige 10%, die tapfer dem morbiden Hauch, der Frederick umweht, die Stirn bieten.
«Vor ungefähr zwei Jahren habe ich Sandra kennengelernt. Sie akzeptiert meinen Beruf, und nun ist es so weit: Ich möchte ihr einen Antrag machen. Aber ich habe Angst, dass sie stirbt, wenn ich sie frage, ob sie mich heiraten will. Aus diesem Grund suche ich nun Hilfe», beendete er seinen Rapport.
«Spannend. Wirklich», lobte ihn Gwendolyn. «Tolle Geschichte!»
Im Vorzimmer waren Geräusche zu hören. Die Mittagspause war wohl zu Ende. Wäre gut, wenn sie nun möglichst rasch das Feld räumen würde. Gwendolyn wandte sich an den gutaussehenden Totengräber.
«Ich kann Ihnen bestimmt helfen. Aber jetzt habe ich keine Zeit mehr. Wir machen einen neuen Termin aus.»
Frederick nickte. «Ich kann morgen wiederkommen.»
Gwendolyn überlegte. Sie war sich nicht sicher, ob Frau Doktor Wittenfeld ihr ihre Praxis zur Verfügung stellen würde.
«Nein, das machen wir anders. Geben Sie mir Ihre Visitenkarte. Ich werde zu Ihnen kommen.»
«Ist das nicht etwas ungewöhnlich?»
«Nun, Ihr Problem ist auch ungewöhnlich. Ungewöhnliche Probleme, ungewöhnliche Behandlungsmethoden. Ich muss Ihr Umfeld kennenlernen, um zu entscheiden, wie wir vorgehen werden. Das ist dann allerdings ein Hausbesuch, und ich muss Ihnen dafür ein höheres Honorar in Rechnung stellen.»
Frederick zuckte die Schultern. «Wenn das so üblich ist.»
«Ist es», bestätigte Gwendolyn. Sie begleitete Frederick nach draußen, grüßte freundlich die ziemlich verblüffte Empfangsdame, murmelte als Erklärung etwas von wegen «Paartherapie» und machte sich auf den Heimweg.
Sie war sehr glücklich: Sie würde als Psychologin tätig werden. Sie würde den Geschichten anderer Menschen lauschen und dafür Geld kassieren. Wie wunderbar. Und den ersten Patienten hatte sie bereits. Einen echten Irren. Das versprach äußerst amüsant zu werden und eine mühelose Einnahmequelle.
Als sie durch die Fußgängerzone lief, nahm sie einen kleinen Tumult wahr. Neugierig blieb sie stehen. Zwei Polizisten redeten auf eine aufgebrachte, rundliche ältere Dame ein, die auf einem Campingstuhl saß, vor sich einen kleinen Tisch. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Tisches, stand ein weiterer Stuhl. Leer.
«Aber Sie können mich doch nicht verhaften!», rief sie empört.
«Wir verhaften Sie nicht! Ich sagte doch, wir machen Sie auf eine Ordnungswidrigkeit aufmerksam, die Sie begangen haben. Es wird lediglich eine Geldbuße zur Folge haben», sagte Polizist Nummer eins, offensichtlich nicht zum ersten Mal, aber bemüht freundlich.
Polizist Nummer zwei war nicht so freundlich: «Also, jetzt Ihren Namen bitte.»
«Bernadette Kunz. Und ich möchte festhalten, dass ich nichts Unrechtes getan habe!»
Polizist Nummer zwei bellte: «Sie gehen einer gewerblichen Tätigkeit nach, und nach § 55 der Gewerbeordnung brauchen Sie dafür eine Erlaubnis vom Ordnungsamt. Und die haben Sie nicht. Was Sie hier tun, gilt als Reisegewerbe, und dafür ist eine Reisegewerbekarte
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